Der Prozess gegen den Angeklagten aus Renningen fand am Landgericht Stuttgart statt. (Symbolfoto) Foto: dpa/Marijan Murat

Das Landgericht Stuttgart verhängt die Unterbringung gegen einen 57-jährigen Mann, der einen versuchten Totschlag an seinem dreijährigen Sohn in schuldunfähigem Zustand begangen hat.

Es ist eine menschliche Tragödie, die in diesen Tagen vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart im Rahmen eines so genannten Sicherungsverfahrens verhandelt wurde. Auf der Anklagebank saß ein 57-jähriger Mann aus Renningen, der auf ein sehr erfolgreiches Berufs- und Privatleben blicken kann. Lange Jahre arbeitete er als Ingenieur bei einer großen Automobilfirma, zu seinen Hobbys gehörte unter anderem das Kitesurfen.

 

Doch er wird nunmehr längerfristig im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in der Weissenau (Ravensburg) untergebracht werden, das hat das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil entschieden und entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die 1. Große Strafkammer sah es als erwiesen an, dass der 57-Jährige den Tatbestand des versuchten Totschlags an seinem dreijährigen Sohn erfüllt hat. Sie hielt ihn aber wegen einer Chorea Huntington-Erkrankung für schuldunfähig und sprach ihn von dem Anklagevorwurf frei.

Nach Ansicht des Gerichts hat der 57-Jährige am Morgen des 3. Juni vergangenen Jahres seinem dreijährigen Sohn im Bett den Unterarm auf den Hals gelegt und ihm die Luftzufuhr abgedrückt. Die Mutter sei durch das Röcheln des Kindes im Bad alarmiert worden und habe zunächst erfolglos versucht, den Mann durch Schläge und Stöße zum Aufhören zu bewegen. Erst als sie sich mit vollem Körpereinsatz gegen den 57-Jährigen geworfen habe, sei es dem Dreijährigen gelungen, sich zur Seite wegzudrehen. Der Junge erlitt Schmerzen und Atemnot sowie Einblutungen in den Augen und Ohren und schwebte in Lebensgefahr. Die alarmierten Polizeibeamten hatten den Mann unmittelbar nach der Tat als apathisch und desorientiert beschrieben.

Richter folgten der Empfehlung eines Gutachters

Mit ihrem Urteil folgten die Richter der Empfehlung des Gutachters Stefan Grammer, der als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am ZfP Weissenau tätig ist. Der Sachverständige hatte erklärt, der Mann sei an der unheilbaren und erblichen Gehirnkrankheit Chorea Huntington erkrankt. Diese habe Auswirkungen auf Motorik und Verstand und rufe depressive und paranoide Symptome hervor. Bei der Arbeit habe der 57-Jährige, der stets dem Ethos gefolgt sei, Probleme durch größere eigene Anstrengungen zu lösen, festgestellt, dass ihm schwierigere Dinge nicht mehr so leicht von der Hand gingen und die Multitasking-Fähigkeiten nachgelassen hätten.

Die Krankheit sei durch Schmerz- und Narkosemittel, die bei einer Operation nach einem Schlüsselbeinbruch verabreicht worden seien, verstärkt worden. Es sei zwischen März und Mai vergangenen Jahres zu einem halluzinatorischen Delirium gekommen. Dieses habe sich in einem Vergiftungswahn manifestiert: Der Mann habe geglaubt, seine Frau wolle ihn mit dem Essen vergiften. Zudem sei sein Tag- und Nachtrhythmus gestört gewesen, Schlaf sei für ihn nicht mehr erholsam gewesen. „In der Folge hat sein Selbstwertgefühl nachgelassen, da er merkte, dass er auf Dauer nicht mehr autonom leben kann“, führte der Sachverständige weiter aus.

Krankheit ruft depressive und paranoide Symptome hervor

Es sei am Vorabend der Tat zu einem Impuls für einen Suizid gekommen, indem seine Ehefrau zu ihm gesagt habe, dass sie ihn verlassen werde, wenn er sich keine Hilfe suche. „Er dachte, wenn er nicht mehr weiterlebt, dann soll sein Sohn nicht allein auf dieser Welt sein und hat versucht, ihn zu erwürgen“, lautete die Erklärung des Gutachters für die Tat. Dass er nicht auf die Schreie und Schläge seiner Ehefrau reagiert habe, deute auf eine „hochgradige Bewusstseinseinengung“ des Mannes hin.

Der Gutachter attestierte dem 57-Jährigen eine krankhafte seelische Störung. Chorea Huntington habe einen wellenförmigen Verlauf, sei aber nicht heilbar. Daher sei eine weitere Verschlechterung seines Zustandes und weitere Impulsivhandlungen zu befürchten. Hinzu komme, dass der 57-Jährige keine Krankheitseinsicht habe. So sei es nach der Absetzung von Medikamenten auf seinen Willen hin im ZfP Weissenau zu einer weiteren paranoiden Erlebnisphase gekommen. Der Mann habe erneut befürchtet, vergiftet zu werden und habe mehrere Tage auf der Station isoliert werden müssen.

Chorea Huntington-Erkrankung

Definition
Die Huntington-Krankheit ist eine unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns, die mit unkoordinierten Bewegungen einhergeht, in Demenz mündet und zum Tod führt. Ein fehlerhaftes Eiweiß, das infolge des defekten Huntington-Gens gebildet wird, zerstört die Gehirnzellen. Die ersten Krankheitserscheinungen treten meist im vierten Lebensjahrzehnt auf. Die Krankheit war früher unter dem Namen Veitstanz bekannt.

Folgen und Möglichkeiten
Chorea Huntington hat motorische, kognitive und psychiatrische Auswirkungen bis zu paranoiden Erlebnissen. Die Symptome können mit Medikamenten und Therapien behandelt werden, nicht aber die Ursache der Krankheit.