Der 52-jährige Beschuldigte, der in seiner Wohnung in Bad Cannstatt im Streit einen 25 Jahre alten Mann erstochen haben soll, ließ am sechsten Prozesstag über seinen Verteidiger eine Stellungnahme verlesen: Er habe in Notwehr gehandelt.
Ein 52-jähriger Mann muss sich derzeit am Landgericht Stuttgart verantworten, weil er im vergangenen Mai in seiner Wohnung in Bad Cannstatt eine 21 Jahre alte Frau vergewaltigt und Stunden später ihren 25-jährigen Freund erstochen haben soll.
Am sechsten Prozesstag musste sich der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann erst einmal daran gewöhnen, dass der Angeklagte nicht mehr mit Handschellen und in Begleitung von Justizbeamten aus Saal 6 des Stuttgarter Landgerichts geführt wurde. Als der Jurist zur ersten Verhandlungspause bat, wollte er den 52-Jährigen kurzzeitig zurück in die Zelle im Keller bringen lassen, bemerkte dann aber umgehend seinen Fehler und entschuldigte sich mit einem Lächeln. Kurzzeitig hatte er offenbar verdrängt, dass der Beschuldigte auf Antrag der Verteidigung bereits Anfang vergangener Woche aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Die Strafkammer hatte den Haftbefehl wegen Totschlags aufgehoben, da sie keinen dringenden Tatverdacht mehr gesehen hatte.
Zweifel an Aussagen der 21-Jährigen
An dieser Einschätzung änderte sich auch nichts, als der Angeklagte am vergangenen Mittwoch das Tötungsdelikt gestand. Über einen seiner beiden Verteidiger ließ er eine Stellungnahme verlesen. Darin beteuerte der Beschuldigte, in Notwehr gehandelt zu haben, die Vergewaltigungsvorwürfe stritt er ab. Schon im Lauf der Verhandlung kamen aufgrund von Zeugenaussagen und der Auswertung von Whatsapp-Chats Zweifel an den Schilderungen der jungen Frau auf, sie sei von dem Mann in dessen Wohnung eingesperrt worden. Dass sie bei dem flüchtigen Bekannten nur eine Handtasche, die sie zuvor bei einem Umzug vergessen hatte, abholen wollte, scheint zum jetzigen Prozess-Zeitpunkt ebenfalls wenig plausibel. „Davon weiß ich nichts“, sagte auch der Angeklagte auf Nachfrage der Richter. Die 21-Jährige, die am Mittwoch erstmals nicht bei der Verhandlung anwesend war, sei in der Nacht freiwillig zu ihm gekommen, um gemeinsam Crack, also in einer Pfeife erhitztes Kokain, zu rauchen.
Am nächsten Morgen habe es dann gegen 11.30 Uhr an der Tür geklingelt, und wenig später sei ein Mann in seinem Flur gestanden, den er zuvor noch nie gesehen habe. Mit einem Messer in der Hand sei der Unbekannte auf ihn zugegangen. „Es kam zum Gerangel. Ich versuchte mich zu schützen, indem ich meine Arme hob.“ Die Auseinandersetzung habe sich in die Küche verlagert. Als der Mann ihn mit dem Messer am Nacken und am Hinterkopf verletzte, soll er zu einem Küchenmesser, das in der Spüle lag, gegriffen haben. „Ich stach nur einmal zu.“ An die genaue Bewegung könne er sich aufgrund der eingenommenen Betäubungsmittel nicht erinnern. „Als der Mann dann umfiel, ließ ich sofort von ihm ab und rannte aus meiner Wohnung. Vor der Tür traf ich meinen Nachbarn, dem ich sagte, er solle die Polizei und einen Rettungswagen rufen“, ließ der 52-Jährige mitteilen. „Ich stand ziemlich unter Schock und blutete selbst stark, weshalb ich nach der Tat ärztlich versorgt werden musste.“ Mit mehreren Stich- und Schnittwunden sei er in ein Krankenhaus gebracht worden.
Angeklagter fürchtete um sein Leben
Erst im Nachhinein habe er erfahren, dass es sich beim Opfer um den Freund seiner nächtlichen Besucherin handelte. In seiner Einlassung sprach er den Eltern des Verstorbenen sein Beileid aus und bekundete tiefes Bedauern über den Tod ihres Sohnes. „Für mich gab es in dieser Situation nur einen Ausweg, da ich um mein Leben fürchtete. Ich wollte mich nur verteidigen“, so der 52-Jährige, der angab, die junge Frau rund zwei Monate vor der Tat kennengelernt zu haben. „Es entwickelte sich eine lose Bekanntschaft.“ Ende April habe man sich das erste Mal zu zweit getroffen. „Wenn sie bei mir war, haben wir Kokain konsumiert und Geschlechtsverkehr gehabt. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, ob ich in dieser Nacht oder eine zuvor mit ihr sexuellen Kontakt hatte. Ich möchte jedoch betonen, dass dieser niemals gegen ihren Willen war. Sie hat mir auch nie das Gefühl gegeben, dass ich etwas tat, das sie nicht auch wollte.“
Der Prozess wird am Freitag, 1. März, fortgesetzt. Nach den Gutachten eines Gerichtspsychiaters und eines Kriminaltechnikers sollen an diesem Verhandlungstag bereits die Plädoyers folgen.