Die Poetry-Slammerin Aranya Johar kämpft mit starken Worten gegen Frauenhass in Indien. Foto: Tanay Kadel

Eine Bühne gegen Belästigungen: Die Auftritte der Bloggerin Aranya Johar zielen gegen die Tabus einer patriarchalischen Gesellschaft.

Delhi - Sie nimmt Worte in den Mund, die den meisten indischen Frauen nicht über die Lippen kommen: „Vagina, Hymen, Hure, Jungfräulichkeit, Blow Job“. Die 18-jährige Aranya Johar schreckt nicht vor Tabus zurück, wenn sie in ihren Gedicht-Aufführungen die Doppelmoral der indischen Gesellschaft geißelt und offen Frauenfeindlichkeit, Vergewaltigung in der Ehe und Menstruationsekel anspricht. Ihr Stück, „A Brown Girl’s Guide to Gender“, das am internationalen Frauentag im März veröffentlicht wurde, hat sich zu einer Internetsensation entwickelt. Eine halbe Million Mal wurde der zweiminütige Clip bereits angeschaut.

Johar, die noch die 12. Klasse in Mumbai besucht, kam über ihren Bruder zur Dichtung. Dieser nahm die kleine Schwester vor fünf Jahren auf eine „Poesie Nacht“ in eine Bar im trendigen Bandra-Viertel mit. Im Gegensatz zu traditionellen Dichterlesungen dominiert hier Spontaneität, Darstellungskunst und die Interaktion mit den Zuhörern. Obwohl Johar in Begleitung ihrer Eltern zu ihrem ersten Poetry Slam kam, musste die damals 13-Jährige den Organisatoren versichern, dass sie nicht gekommen sei, um Alkohol zu trinken.

Beurteilungen jenseits von Aussehen und Alter

Der Abend hinterließ einen tiefen Eindruck bei Johar. Sie fühlte, dass Poesie das Medium sei, mit dem sie andere erreichen könne. „Dichtung ist mein Weg, einen Dialog zu beginnen“, sagte Johar jüngst der „Hindustan Times“. Inzwischen ist sie eine routinierte Künstlerin, die nicht nur regelmäßig bei Veranstaltungen in ihrer Heimatstadt auftritt, sondern auch selbst Festivals, Gedichtabende und Dichterwettbewerbe organisiert – darunter auch die „Blinde Poesie-Nacht“. Die Veranstaltung findet in einem dunklen Raum statt, die Dichter bleiben anonym. „Niemand kann ihre Poesie auf der Grundlage ihres Aussehens und Alters beurteilen, weil niemand ihre Gesichter sehen kann“, sagt Johar.

Hier können Sie sich den Auftritt anschauen:

Die 18-Jährige spricht in ihrem Gedicht auch davon, wie Männer die Denkweise der Frauen bestimmten, wonach knappe Kleidung und ein tiefer Ausschnitt der Grund für Vergewaltigungen seien. Sie sagt, dass Frauen bereits als kleine Mädchen sexualisiert würden und sie selbst kaum jemandem vertrauen könne, sie nachts bis vor ihre Haustür zu begleiten.

Gegen die Einteilung von Frauen in Heilige und Huren

Zuspruch erhält Johar dabei auch von ihrem Dichterkollegen Sudeep Pagedar, der auf ihr Stück mit einem eigenen Gedicht reagierte, in dem er die Rolle der Männer in der Aufrechterhaltung des alltäglichen Sexismus reflektiert: „Das Privileg des Penis“ thematisiert die Einteilung von Frauen in Heilige und Huren, männliche Aggression und die Verharmlosung von sexueller Gewalt mit der achselzuckenden „Männer sind eben Männer“-Attitüde. Gewalt gegen Frauen ist in Indien weit verbreitet. 2012 machte die bestialische Vergewaltigung und Ermordung einer Studentin in einem Stadtbus in Neu-Delhi Schlagzeilen. Der Tod der jungen Frau hatte in Indien für wochenlange Straßenproteste gesorgt. Die Regierung verschärfte als Reaktion darauf das Strafmaß bei Vergewaltigung.

Dennoch reißt die Kette schockierender Fälle nicht ab. Vor einer Woche erregte die Vergewaltigung einer deutschen Touristin in Südindien internationales Aufsehen. Das Entsetzen über brutale Gruppenvergewaltigungen und Morde an Frauen haben die versteckte, alltägliche Gewalt innerhalb der Familie in den Hintergrund treten lassen. Dabei werden die Strukturen der streng patriarchalischen Gesellschaft auch von vielen Frauen verteidigt, obwohl sie ihnen kaum Macht über ihr eigenes Leben gibt.