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Protestanten öffnen Pfarrhäuser -Ungeheurer Verstoß gegen Bibel, wettern Konservative.

Stuttgart - Die Protestanten öffnen die Pfarrhäuser zunehmend für homosexuelle Paare. In Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt dürfen sie mit dem Segen der Landeskirchenämter offiziell zusammenleben. Ein ungeheurer Verstoß gegen die Gebote der Bibel, wettern Glaubenshüter. Die Konservativen im deutschen Protestantismus machen mobil gegen den schleichenden Sittenverfall in der Pfarrerschaft.

Schwule Geistliche, die mit ihrem Partner in einer Homo-Ehe oder - schlimmer noch - in einer wilden Ehe unter kirchlichen Dächern zusammenleben - für Ulrich Wilckens und sieben andere evangelische Altbischöfe, darunter die früheren württembergischen Bischöfe Theo Sorg und Gerhard Maier, eine Ungeheuerlichkeit. Zusammen mit ihnen hat der 82-jährige Ex-Bischof des Sprengels Holstein-Lübeck in der nordelbischen Kirche einen offenen Brief verfasst. Oder besser gesagt: ein flammendes Bekenntnis gegen den Zeitgeist, der längst in die Pfarrhäuser eingezogen ist. Homosexuelle Partnerschaften, schreiben sie, seien "widernatürlich und schöpfungswidrig". Die Kirche müsse homosexuellen Menschen raten, bindungslos zu bleiben. Wilckens, ein emeritierter Professor für Neues Testament, beruft sich auf die Bibel. "In der Schrift wird eindeutig das Praktizieren von Homosexualität als wider die göttliche Ordnung der Schöpfung beschrieben."

Was im Übrigen mit jenen geschieht, die gegen Gottes Gebote verstoßen, ist dort auch nachzulesen. Im Buch Genesis, 19, 24 heißt es: "Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen von Himmel herab auf Sodom und Gomorra."

Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), steht ohne Wenn und Aber hinter der bischöflichen Kritik. "Homosexuelle Paare dürfen nicht ins Pfarrhaus. Die Gemeinschaft von Mann und Frau ist das Richtige von der göttlichen Absicht her." Wer dies nicht leben kann oder will, solle enthaltsam leben. Steeb weiter: "Wenn jemand meint, er könnte andere Wege als die der Bibel gehen, finde ich das sehr bedauerlich." Die DEA versteht sich als " Bund von Christusgläubigen", dem mehr als eine Million evangelikaler Christen angehört.

Der Brandbrief der Altbischöfe ist im konservativen Lager auf breite Zustimmung gestoßen. So sieht die Konferenz Bekennender Gemeinschaften darin einen "geistlichen Mahnruf von kirchenhistorischer Bedeutung". Nach Ansicht ihres Vorsitzenden Ulrich Rüß, Pastor in St. Johannis in Hamburg-Eppendorf, zeigt der Aufruf,, "in welch desolater Verfassung die evangelische Kirche ist".

Die "pensionierten Herren" verschließen sich der Lebenswirklichkeit

Besonnene Kirchenvertreter halten dieses Urteil für reichlich übertrieben. Der Streit um Homo-Pfarrhäuser betrifft zwar nur eine sehr kleine Gruppe von Ordinierten, gleichwohl sei das Thema ein Top-Aufreger unter Protestanten, ist der Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Rainer Mawick, überzeugt. Auch bei der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) reagiert man gelassen auf den flammenden Appell der Bibeltreuen. Die "pensionierten alten Herren" würden sich der heutigen Lebenswirklichkeit verschließen, glaubt der evangelische Pfarrer und HuK-Sprecher Alfred Menzel aus Bielefeld.

Die Konservativen, so scheint es, kämpfen auf verlorenem Posten. Die gesellschaftliche Emanzipation der Homosexuellen ist auch in der Evangelischen Kirche nicht aufzuhalten. Immer mehr Bollwerke der Rechtgläubigkeit werden geschleift. So dürfen schwule Pfarrer in der Landeskirche für Sachsen-Anhalt und Thüringen mit ihrem Lebenspartner zusammenwohnen. Homosexualität sei für den Pfarrdienst "kein Unvereinbarkeitskriterium", betont Personaldezernent Christian Frühwald. Bereits im November hatte Bayerns Landeskirche ihre Pfarrhaustüren offiziell für Schwule geöffnet. Bischof Johannes Friedrich betonte, dass in jedem Einzelfall die Einmütigkeit des Landeskirchenrats, des zuständigen Dekans und Kirchenvorstands erforderlich sei.

Als liberales Pflaster gilt die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. Dort sorgte das Thema schon Mitte der 1990er Jahre für hitzige Debatten. Seitdem die Landessynode 2000 für Klarheit sorgte, ist Ruhe eingekehrt. "Die Gemeinde entscheidet und nicht die Landeskirche", lautet das Credo. Wie in Bayern gilt auch im Norden: Wenn Kirchenvorstand und Propst meinen, dass diese Lebensform im Pfarrhaus gelebt werden könne, dann ist sie erlaubt, erläutert Sprecher Norbert Radzanowski. Natürlich sei dies kein Freibrief für Promiskuität. "Die eheähnliche Lebensform muss von Nachhaltigkeit geprägt sein."

Ein neues Dienstrecht für 22.000 Pfarrer

Die acht Altbischöfe richten sich mit ihrem Brief an die Synodenmitglieder der 22 Landeskirchen. Sie sollen einem Zusatz des neuen gemeinsamen Pfarrdienstrechts, das die EKD-Synode im November einstimmig verabschiedet hatte, nicht zustimmen. Stein des Anstoßes ist der Paragraf 39 zum Thema "Ehe und Familie" dieses Gesetzes. Die Zusatzbegründung zu diesem Paragrafen lasse die Möglichkeit der Ordination und Anstellung von Pfarrern zu, die in homosexuellen Partnerschaften lebten, erklärt Wilckens. "Wenn alle Landeskirchen diesem Zusatz zustimmen, ist er nicht mehr zu ändern." Homo-Pfarrhäuser würden zum unumkehrbaren Faktum. "Wenn das Realität würde, hätte die Kirche eine Ordnung, die die Basis des Neuen Testaments verlässt."

Das neue Dienstrecht für die rund 22000 Pfarrer wurde von der EKD in enger Abstimmung mit den Landeskirchen erstellt. Der strittige Passus der Lebensführung und sexuellen Orientierung der Geistlichen blieb wegen bestehender Meinungsverschiedenheiten bewusst ausgeklammert. "Der Begriff familiäres Zusammenleben ist bewusst weit gewählt", erklärt EKD-Sprecher Reinhard Mawick. So solle ein breites Spektrum an Lebensformen möglich und erfasst werden. "Die Landeskirchen sollen den Begriff auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausdehnen, wenn sie das wollen. Sie müssen es aber nicht."

Im Klartext: Im Prinzip ändert sich nichts an den bisherigen landeskirchlichen Regelungen. Da die EKD eine Art Dachverband ist, der nicht in die Belange der einzelnen Gliedkirchen hineinregieren kann, werden diese weiter entscheiden, wie sie mit ihren Homo-Pfarrern umgehen. Konservative Sprengel wie die badische und württembergische Landeskirche duldeten bislang schon keine wilden Ehen, liberalere hatten nichts dagegen einzuwenden. Die "Nuancen in der Beurteilung" seien unterschiedlich, so Mawick. "Es gibt Differenzen, und das Gesetz berücksichtigt dies." Entscheidend sei, ob der Pfarrer mit der Gemeinde klarkomme.

Im Südwesten ist die Rechtslage eindeutig: "Zurzeit ist das Zusammenleben von Homosexuellen im Pfarrhaus verboten", erklärt Uwe Gepp, Sprecher der Landeskirche. Im April kommt das strittige Thema auf die Tagesordnung der Synode. Gepp: "Das Thema ist im Fluss."

Auch in Württemberg ist offiziell ein Zusammenleben von Schwulen im Pfarrhaus ausgeschlossen. Allerdings gibt es wie in allen Landeskirchen "seelsorgliche Ausnahmen". "Das sind ganz wenige Einzelfälle", meint der Medienreferent der Landeskirche, Kirchenrat Dan Peter. Bei "besonderen seelsorglichen Umständen" und wenn die betroffene Gemeinde es akzeptiere, seien Ausnahmen vom geltenden Verbot möglich. Jede Gemeinde habe schließlich die "vollkommene Freiheit bei der Pfarrerwahl".

Homosexuelle Partnerschaften sind nicht bibelwidrig

So viel Warnungen vor dem Verfall von Glaube und Moral provozieren zwangsläufig den Widerspruch von Liberalen und Progressiven. Allen voran von der Hamburger Propst Horst Gorski. Die Altbischöfe "missverstehen die Bibel, die nichts über homosexuelle Partnerschaften sagt ", erklärt der bekennende Homosexuelle, der sich 2008 erfolglos für das Bischofsamt für Schleswig und Holstein beworben hatte . Damit leugneten sie den allgemein anerkannten theologischen Erkenntnisstand. Gorski sieht in dem Widerstand der Konservativen ein "letztes Aufbäumen einer kleinen Minderheit, die nicht mehr die Mehrheit ist".

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock dürfte für die Mehrheit der Protestanten in Deutschland reden, die mit Bibeltreue wenig zu tun haben. Homosexuelle Partnerschaften seien "nicht bibelwidrig", betont Kock. Die EKD habe ein "gutes Gesetz" erlassen, dass den Landeskirchen die Freiheit für eigene Regelungen gebe. Den Altbischöfen wirft er vor, den Eindruck zu erwecken, als seien "Homosexuelle Menschen zweiter Klasse".

Gegen solche Unterstellungen wehrt sich Wilckens. Er und die anderen Altbischöfe würden Schwule keineswegs die Menschenwürde absprechen. Nur dürfe man sie nicht "in das Dienstamt als Pastoren" berufen. "Die Landeskirchen sollen der Aufforderung der EKD nicht Folge leisten und keine eigenen Gesetze beschließen, die homosexuelle praktizierende Christen den Weg ins Pfarrhaus öffnen."

Trotz der Warnung, dass sich die Protestanten ihr eigenes Grab schaufelten, ist der Trend zum Homo-Pfarrhaus kaum aufzuhalten. Bis zum Herbst werden die 22 Landessynoden darüber entscheiden. "Man muss es mit der Definitionswut nicht übertreiben", sagt Mawick. "Bestimmte Lebensformen gehören nun mal seit Jahrzehnten zur Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft."