Demo in Stuttgart: Die Streckensperrung ist vielen Pendlerinnen und Pendlern ein Dorn im Auge. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Bei einer Demo am Hauptbahnhof in Stuttgart haben am Freitag Hunderte Menschen gegen die geplante Streckensperrung zwischen Cannstatt und Waiblingen protestiert.

Nadine Arndt fährt regelmäßig mit der S-Bahn nach Stuttgart. Morgens von Welzheim zu ihrem Arbeitsplatz in der Personalabteilung eines Stuttgarter Unternehmens, spätnachmittags wieder zurück. Sie braucht mit Bus und Bahn dafür etwa eine Stunde und 15 Minuten für die einfache Strecke. Fahren die S-Bahnen dieser Tage nur noch zwei- statt bisher viermal die Stunde, dauert es mit dem Schienenersatzverkehr schon deutlich länger.

Und wenn die Bahnstrecke von Bad Cannstatt nach Waiblingen vom 12. Mai an wie angekündigt für bis zu elf Wochen komplett gesperrt wird, weiß die Pendlerin auch noch nicht so genau, wie das werden wird. „Wahrscheinlich werde ich öfter mobil arbeiten, öfter mit dem Auto fahren, mal sehen”, sagt sie noch etwas ratlos am Rand der Kundgebung gegen die geplante Streckensperrung am Freitagabend vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Die 26-Jährige ist eine der täglich rund 60.000 Fahrgäste auf der Strecke, die von der Sperrung betroffen wären. Andere trifft es noch härter. Paulina Trinkle ist 16 Jahre alt. Sie kommt ebenfalls aus Welzheim und muss jeden Tag von dort aus nach Fellbach zu ihrem Ausbildungsplatz und wieder zurück. Ihr bleibt nach jetzigen Stand für die Zeit der Sperrung nur eine Alternative: „Wahrscheinlich werde ich dann jeden Tag von Waiblingen mit dem Rad nach Fellbach fahren, anders geht es ja nicht.”

Kundgebung mit Fahrraddemo und Demonstrationszug

Wie die beiden Welzheimerinnen haben am Freitag mehrere Hundert Menschen gegen die von der Bahn ganz kurzfristig angekündigte Sperrung protestiert. Zu der Kundgebung mit Fahrraddemo und Demonstrationszug in der Stuttgarter Innenstadt hatte ein „Bündnis gegen Streckensperrungen zwischen Bad Cannstatt, Waiblingen und anderswo” aufgerufen. Für Außenstehende und Vorbeifahrende sah die Veranstaltung wie eine der regelmäßigen Proteste gegen Stuttgart 21 aus.

Am Mikrofon auf der Bühne meldeten sich aber Rednerinnen und Redner aus ganz unterschiedlichen Interessensbereichen zu Wort, die alle auf eine funktionierende Bahn angewiesen sind. Eine Vertreterin von Fridays For Future Stuttgart sagte, Klimagerechtigkeit ist ohne Verkehrswende nicht möglich. Und dafür sei ein funktionierender Nahverkehr die Voraussetzung. „Modernisierung ist auch im laufenden Betrieb möglich“, sagte die Aktivistin.

„Diese Planung ist eine riesengroße Katastrophe”

Udo Rauhut vom VdK-Kreisverband Waiblingen sprach für die rund 8000 Mitglieder im Rems-Murr-Kreis. Viele davon müssten pünktlich zu ihren Terminen bei Fachärzten erscheinen und seien dafür auf die S-Bahnen angewiesen. „Diese Planung ist eine riesengroße Katastrophe”, sagte er unter großem Beifall. „Es ist an der Zeit, dass die Bahn ihre Verantwortung auch für diese Gruppen wahrnimmt.”

Thomas Albrecht von der Kaktus-Initiative in der IHK Region Stuttgart wies auf die rund 160.000 Wirtschaftsbetriebe im hochverdichteten Industrieraum Stuttgart hin. „Deren Beschäftigte müssen zuverlässig zu ihren Arbeits- und Einsatzorten kommen”, sagte er. „Wir brauchen einen funktionierenden Schienenverkehr. Die gesamte Wirtschaft muss ein Interesse daran haben.” Leider habe man von der IHK selbst bisher zu dem Thema noch nichts gehört.

Weitere Rednerinnen und Redner wie Cuno Brune-Hägele von Verdi Stuttgart oder Marlis Heck vom VCD und Klima- und Umweltbündnis forderten die politisch Verantwortlichen in Stadt und Land auf, „dieses absehbare Chaos” zu verhindern und die Arbeiten nachts bei tagsüber wenigstens einigermaßen laufendem Bahnbetrieb zu erledigen. Peter Pipiorke von der Naturfreunde-Radgruppe wies darauf hin, dass wohl noch nie eine Autobahn oder eine Bundesstraße monatelang komplett gesperrt worden sei. „Was wäre das für ein Aufschrei?”

Alle forderten von der Bahn, die geplante komplette Streckensperrung auszusetzen und vor allem endlich ein verlässlich funktionierendes Alternativkonzept vorzulegen. Darauf warten gerade auch die vielen betroffenen Pendler.

Ein Ehepaar aus Schwaikheim hatte die Kundgebung zum Anlass genommen, schon einmal eine alternative Pendlerstrecke auszuprobieren. Sie waren mit dem Auto von Schwaikheim nach Neckarrems gefahren und von dort mit der Stadtbahn zum Hauptbahnhof gekommen. Das wird wohl die Alternative für die Schwaikheimerin in der Zeit der Sperrung sein. Ihr Mann dagegen will aufs Rad umsteigen: „Das ist doch das einzige, was wirklich zuverlässig funktioniert.”