Demonstranten säumten den Gehweg an der Sulzbacher Straße in Backnang, hielten Schilder in die Höhe und protestierten vor dem Firmengebäude gegen den Schlachtbetrieb. Foto: Gottfried Stoppel

Tierschutzaktivisten haben vor der Metzgerei Kühnle in Backnang gegen den Schlachtbetrieb protestiert.

Die Türen sind zu. Der Schlachthof an der Sulzbacher Straße 196 in Backnang ist vorübergehend geschlossen. Nachdem heimliche Filmaufnahmen vom Schlachtbetrieb bei einer TV-Recherche öffentlich wurden, hat die Firmenleitung der Metzgerei Kühnle beschlossen, den Schlachtbetrieb auszusetzen und zwei Mitarbeiter freizustellen. Auch ein unabhängiger Gutachter sei eingesetzt, um die Vorwürfe aufzuarbeiten. So lange wollen die Tierschützer nicht warten. Am Donnerstagnachmittag versammelten sich über 30 Aktivisten zu einer „Mahnwache“ vor dem Schlachthof, um gegen Missstände in der Fleischindustrie und die Massentierhaltung zu protestieren. Auf ihren Schildern sind Slogans aufgedruckt wie „Tierliebhaber töten keine Tiere“ oder „Tiere sind fühlende Lebewesen, keine Lebensmittel“ In Sprechchören fordern sie: „In Backnang und an jedem Ort – Schlachthäuser schließen jetzt sofort!“

Schockiert von der Brutalität

Organisiert wurde die „Mahnwache“ von Aaron Bangert, der aus Weissach im Tal stammt: „Als ich die Videos von der Schlachtung gesehen habe, war ich schockiert von der Brutalität, wie mit den Tieren umgegangen wird und dass so etwas in meiner Nähe passiert“, sagt der 25-jährige Student. „Wenn man das sieht, verliert man den Glauben daran, dass das Leben der Tiere in unserer Gesellschaft etwas zählt.“ In seiner Rede prangerte er nicht nur den Umgang mit Tieren an, sondern warf den Veterinärbehörden Untätigkeit und Versagen vor: „Das Kontrollsystem in der Agrarwirtschaft ist durchzogen von Vetternwirtschaft, chronischer Unterbesetzung und Inkompetenz“, sagte Bangert. „Wir sind auch hier um unseren Protest über die Veterinärbehörde zum Ausdruck zu bringen, denn wir fordern gerechte Strafen für den verantwortlichen Veterinärarzt, der nicht nur weggeschaut, sondern schlimmer – mitgequält und damit sein gesamtes Amt entwürdigt hat.“

„Ich kann hier jede Woche stehen“

Backnang sei kein Einzelfall. Das zeigten Aufdeckungen in anderen Schlachtbetrieben wie in Tauberbischofsheim, Biberach und Gärtringen. Bangerts Ansicht nach würden die „eklatanten Verstöße gegen das Tierschutzrecht nicht ausreichend geahndet“. Bangert, wie etliche andere dere Teilnehmenden, hatten bereits vor zwei Wochen vor dem örtlichem Veterinäramt demonstriert. Wenn aus dem Backnanger Fall nicht die richtigen Konsequenzen gezogen würden, „kann ich hier jede Woche stehen“, sagt der überzeugte Veganer.

Auch Julia Popp war schon öfter bei Kundgebungen zum Thema Tierschutz: „Wir brauchen die Landwirtschaft und die Bauern müssen von ihrer Arbeit leben können“, sagt die Backnangerin. „Aber die Ausbeutung von fühlenden Lebewesen ist nicht mehr zeitgemäß“, findet sie. „Technologisch sind wir so weit hier, aber ethisch doch so weit hinterher.“ Mit ihrer Meinung ist die junge Frau nicht allein. „In einem Land wie Deutschland sollte man Vorbild sein, wir leben auf Kosten der Tiere – viele verschließen die Augen vor der Grausamkeit“, findet Karolina Broche, aus Esslingen zur Mahnwache gereist.

„Wir stehen heute hier in Backnang, weil wir das System nicht für tragbar halten“, sagte Matthias Gottfried, Stadtrat der Tierschutzpartei aus Stuttgart. „Wir brauchen eine Ernährungswende, um den Klimawandel zu bremsen.“ Ziel müsse sein, die Industrie der Schlachtsysteme und die Massentierhaltung abzuschaffen. „Beides ist nicht mehr vertretbar in der heutigen Zeit.“

„Wir brauchen örtliche Schlachthöfe“

Landwirtschaftsmeister Otto Heller indes lebt von der Rinderhaltung. „Seit drei Generationen bringen wir unsere Tier hier in den Backnanger Schlachthof“, sagt der rüstige 82-Jährige. In der Zeitung habe er von der geplanten Mahnwache gelesen und sich in Maubach auf seinen Traktor gesetzt, um seine eigene kleine „Gegendemonstration“ zu machen. „Jedes Tier das geschlachtet werden muss, ist ein Drama und nicht schön, aber die Menschen brauchen das Fleisch.“ Unbenommen gehe der Trend zum Soja. „Auch wir stellen uns um, und bauen auf unseren Äckern mittlerweile Soja an.“ Dennoch werde noch immer viel Fleisch gegessen. Deshalb sei die derzeitige Schließung des Backnanger Schlachtbetriebs tragisch. Bauer Heller hofft, dass bald wieder geöffnet wird: „Wir brauchen örtliche Schlachthöfe, das spart lange Transportwege“, sagt er. „Jetzt müssen wir mit den Tieren bis nach Ulm oder Pforzheim fahren, die Rinder kommen dadurch erhitzt und gestresst an.“

Anstoß für die ganze Branche?

An der Schließung des Schlachtbetriebs wird sich in den nächsten Wochen freilich nichts ändern. Fritz-Ulrich Kühnle, Chef des 140 Mitarbeiter zählenden Betriebs mit seinen 16 Verkaufsstellen im Rems-Murr-Kreis und im Nachbarkreis Ludwigsburg, will sich nicht mit einer vorschnellen Wiederöffnung neuer Kritik aussetzen. „Wir wissen, dass das ein sensibles Thema ist. Wenn wir den Betrieb schon stillgelegt haben, wollen wir uns auch gründlich und ohne Zeitdruck mit der Aufarbeitung befassen“, sagt er.

Frühestens im Februar 2023 können die bereits vor der Ausstrahlung des Skandalvideos geplanten baulichen Verbesserungen umgesetzt werden, schneller kann die mit der Konstruktion einer Rinderfalle mit automatischem Zutrieb beauftragte Firma nicht liefern. Schon vor den TV-Berichten waren deshalb in Absprache mit dem Veterinäramt die Schlachtzahlen reduziert und eine neue Rampe fürs Großvieh gebaut worden. Und: Kühnle verzichtet aktuell auch auf die Schlachtung von Schweinen – obwohl am Weg in den Tod tierschutzrechtlich nichts auszusetzen ist. „Vielleicht gibt unsere Aufarbeitung einen Anstoß für die ganze Branche“, spricht Fritz-Ulrich Kühnle von einer sehr ernsthaften und von Wissenschaftlern begleiteten Auseinandersetzung mit dem Thema. Das an den Ladentheken der Filialen verkaufte Fleisch lässt die Metzgerei laut dem Firmenchef bis auf weiteres bei Betrieben in der näheren Umgebung schlachten. Wurstwaren werden nach wie vor in eigener Regie produziert.

Pflicht zur „sauberen Aufarbeitung“

Auch der Rems-Murr-Kreis spricht von der Pflicht zur „sauberen Aufarbeitung“. Der Tierschutz müsse bei der Schlachtung eingehalten werden. „Deswegen kann die Rinder-schlachtung erst nach Umsetzung aller erforderlichen baulichen und konzeptionellen Maßnahmen wiederaufgenommen werden“, heißt es in Waiblingen. Welche Brisanz das Landratsamt dem Thema einräumt, lässt sich schon am Prozedere ablesen. Auf Fragen zum Stand der Dinge beim Backnanger Schlachtbetrieb ans Veterinäramt antwortet nicht Leiter Thomas Pfisterer, sondern die Pressestelle des Waiblinger Landratsamts – und nur in schriftlichen Stellungnahmen.