Protestaktion der Spielhallenbranche auf dem Schillerplatz Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit 800 leeren Stühlen hat der Dachverband der Deutschen Automatenwirtschaft auf dem Stuttgarter Schillerplatz gegen die ab 1. Juli drohende Schließung von rund 80 Prozent aller Spielhallen-Standorte in Baden-Württemberg protestiert.

Stuttgart - Auf dem Schillerplatz stehen 800 schwarze Klappstühle. An etwa jedem zweiten ist das Bild eines Mitarbeiters aus dem Spielhallengewerbe befestigt, der mit einem politischen Hilferuf gegen die ab 1. Juli drohende Schließung von rund 80 Prozent aller Spielhallen-Standorte in Baden-Württemberg protestiert. Ob die Zitate authentisch sind, bleibt offen. Sicher ist: Initiiert wurde die beeindruckende Installation vom Dachverband der Deutschen Automatenwirtschaft (DAW).

Dessen Vorstandssprecher Georg Stecker ist eigens aus Berlin angereist, um am Mittwochmittag in der Stuttgarter Innenstadt Dampf abzulassen: Denn nirgendwo anders in der Republik als in Baden-Württemberg, so kritisiert der Verband, werde der 2012 ratifizierte Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag nun so rigoros wie hierzulande durchgesetzt. Eine bislang geltende, elf Jahre währende Übergangsfrist läuft zum Monatsende aus, und auch der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung sieht nicht vor, daran etwas zu ändern. Anschließend gilt: zwischen jeder Spielhalle müssen fortan genau 500 Meter Abstand liegen, ebenso zu Schulen und Kitas.

Spielhallenbetreiber werfen der Landesregierung eine verfehlte Regulierung vor

„Durch diese verfehlte Regulierung der Landesregierung im Bereich der Spielhallen sind jetzt 8000 Arbeitsplätze akut gefährdet“, sagt Stecker. Im Bundesgebiet sei dies „ein einzigartiger Vorgang“. Die 800 leeren Stühle, die eine Agentur im Auftrag des Verbands bereits am frühen Vormittag auf dem Schillerplatz aufgestellt hat, stünden stellvertretend für die bedrohten Arbeitsplätze. Bereits am Montag hatte der offenbar finanzstarke Dachverband sowie der Automatenverband Baden-Württemberg mit halbseitigen Zeitungsanzeigen gegen das baden-württembergische Glücksspielgesetz getrommelt.

Was die Branche besonders aufbringt: der neue Glücksspielstaatsvertrag, dem der baden-württembergische Landtag im vergangenen Februar auch in Hinblick auf die Eindämmung der Spielsucht zugestimmt hat, sieht nun überdies vor, dass gleichzeitig mit der Schließung der Spielhallen der private Online-Glücksspielmarkt legalisiert wird. „Spielhallen mit dem Zollstock zu regulieren, ist im digitalen Zeitalter und angesichts demnächst legaler Online-Glücksspielangebote absurd“, argumentiert der oberste deutsche Spielhallen-Lobbyist, der sich für eine qualitative anstelle einer quantitativen Regulierung ausspricht. „Wenn das legale Spielangebot in Baden-Württemberg vernichtet wird, werden sich illegale Spielangebote ohne jeden Jugend- und Spielerschutz ausbreiten. Das kann niemand wollen.“

In Stuttgart sollen von 120 Spielhallen nur noch gut 20 weitermachen

In Stuttgart wird der vom Verband beschriebene Aderlass in Höhe von 80 Prozent aller Spielhallen voraussichtlich sogar überschritten. Nach Auskunft der Stadt soll bis Ende Juni der Prozess der Neukonzessionierung der Bestandsspielhallen vollständig abgeschlossen sein. „Von den ehemals 120 Spielhallen im Stadtgebiet werden gut 20 Betriebe eine Erlaubnis für weitere 15 Jahre erhalten. In den anderen Fällen wurden die Anträge abgelehnt und die Schließung der Spielhallen angeordnet“, so eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Kaum zu erwarten ist freilich, dass die Freunde des Automatenglücksspiels ab 1. Juli in Stuttgart vor verschlossenen Türen stehen. Denn die Stadt kann die Schließungen vorerst nicht vollstrecken: „Gegen sämtliche Schließungsverfügungen wurden Rechtsmittel eingelegt“, so die Sprecherin weiter. Wann die Anordnungen vollzogen werden können, sei nicht absehbar. Weil im Durchschnitt, so rechnet ein Spielhallenbetreiber am Mittwoch, jede Spielhalle rund vier bis fünf Mitarbeiter beschäftigt, seien in Stuttgart mehr als 400 Arbeitsplätze gefährdet.

Unterstützt wurde der Protest auch vom Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion. Hans-Ulrich Rülke war der Einladung des Dachverbands auf den Schillerplatz gefolgt. „Was die Regierungskoalition beschlossen hat, ist nicht in Ordnung“, betont Rülke. „Wo der Staat mitverdient, hat man keine Angst vor der Suchtgefahr. Wo private Betreiber zugange sind, wird mit der scheinheiligen Begründung der Spielsucht eingeschritten.“ Die Arbeitsplätze würden nun in wenigen Wochen wie mit dem Fallbeil gekappt.

Spielhallenbetreiber vermissen einen rechtssicheren Kriterienkatalog

Welche Spielstätten tatsächlich schließen müssen und welche weiterbetrieben werden können, unterliegt indes bislang keinen festen Regeln. Nach Auskunft der Stadt setzt die Verwaltung hierfür verschiedene Kriterien an, darunter das sonstige Glücksspielangebot im Umfeld der Spielhalle, also beispielsweise in Gaststätten oder in Wettbüros, oder auch das bisherige Verhalten des Betreibers sowie die Entfernung zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Für den Stuttgarter Spielhallenbetreiber Dirk Fischer, der 50 Standorte in Deutschland betreibt, steht fest: „Die Kommunen im Land haben durch das Versäumnis des Wirtschaftsministeriums keinen rechtssicheren Kriterienkatalog, um zu entscheiden, welche Spielhalle überleben darf.“ Fischer nennt 18 Spielhallen in Baden-Württemberg sein eigen. 40 Prozent davon seien nun gefährdet. „Das ist nichts anderes als eine Enteignung.“