Auch um diese Blockade am Degerlocher Albplatz geht es in dem Verfahren. Foto: dpa/Marijan Murat (Archiv)

Ist der Protest der „Letzten Generation“ Nötigung? Das Amtsgericht Stuttgart muss das am Fall von zwei Straßenblockaden erörtern.

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arkus Ott wird es wieder tun. Das hat er gleich zu Beginn der Verhandlung am Stuttgarter Amtsgericht deutlich gemacht. Am Dienstag wurde dort über zwei Blockadeaktionen der Gruppe „Letzte Generation“ verhandelt, an denen der 29 Jahre alte Ludwigsburger Student beteiligt war. Verteidigt hat ihn sein Zwillingsbruder, der Rechtsanwalt Michael Ott, der zurzeit auch häufig als Kritiker der Verhältnisse in Katar bei der Fußballweltmeisterschaft auftritt. Zu dem Prozess kam es, weil Ott einen Strafbefehl über 90 Tagessätze, der gegen ihn erlassen worden war, nicht akzeptierte. Er widersprach im Oktober, deswegen wurde nun öffentlich über die Fälle verhandelt. Ein kleiner Erfolg gelang ihm dabei: Zumindest der Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte war am Ende weg. Und die Nötigung wertete der Richter Joachim Spieth nur als versuchte Nötigung. Dadurch kam Ott mit einem geringeren Strafmaß davon.

Einmal saß Ott nur dabei und wurde weggetragen, das war am 16. Mai diesen Jahres. Auf der B 27 in Degerloch blockierte er mit zwei Gleichgesinnten die Straße. Mehr als eine Stunde lang habe sich in der Folge der Verkehr gestaut, auf 3,5 Kilometern Länge. Die zweite Aktion war am 7. Juni auf der Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof. Bei dieser zweiten Aktion musste die Feuerwehr anrücken und seine festgeklebte Hand mit einem Lösungsmittel von der Fahrbahn losmachen.

Der Student sieht nichts Falsches an seinem Tun. Er sehe sich verpflichtet, die Menschheit aufzurütteln mit zivilem Ungehorsam, da die Klimakrise schon zu weit fortgeschritten sei. „Ich würde lieber was anderes tun, mich meinem Studium widmen, statt hier zu sitzen“, sagte er. Auch tue es ihm leid, dass er die Justiz und die Polizei beschäftige – sechs Polizeibeamte hatte der Richter für die Beweisaufnahme geladen. Doch er könne nicht anders. Er sagte auch: „Es macht mir keinen Spaß. Und ich habe auch Angst davor, wenn ich in so eine Aktion gehe.“ Eine begründete Angst, denn mehrfach sind schon Aktivistinnen und Aktivisten von Verkehrsteilnehmenden angegriffen worden, zudem sitzen sie mitten auf der Straße, wo der Verkehr rollt. Herkömmliche Mittel wie Demos – etwa die der Bewegung Fridays for Future – oder Petitionen an die Politik hätten nichts gebracht. Daher könne er es „ethisch nicht vertreten, eine Protestform zu wählen, die Gefahr läuft, ignoriert zu werden“.

Dass die Bewegung dafür gerade stark in der Kritik steht, nimmt Markus Ott ebenfalls in Kauf. Ziviler Ungehorsam habe in der Vergangenheit bei vielen großen Veränderungen eine Rolle gespielt. Sei es die Bürgerrechtsbewegung in den USA im vergangenen Jahrhundert, der Kampf für das Frauenwahlrecht einige Jahrzehnte davor oder die Proteste, die der Wiedervereinigung Deutschlands vorausgegangen seien: Stets hätten die großen Umwälzungen mit Aktionen einer kleinen Gruppe angefangen, die nicht unbedingt auf große Zustimmung stießen. Dass seine Aktionen nerven, gehöre dazu, und auch das hält der Aktivist für vertretbar: „Was sind 30 Minuten Stau gegen ein Todesurteil für Millionen Menschen? Wir unterbrechen den Alltag, damit die Menschen sehen, dass wir in einer Notlage sind.“

Die Blockaden waren von der Stadt als Versammlungsbehörde als spontane Demos eingeordnet worden. Als solche stehen sie unter dem Schutz des Grundgesetzes. Jedoch hatte die Behörde jeweils andere Versammlungsorte zugewiesen, um den Verkehr wieder fließen zu lassen. Im Fall der Blockade am Bahnhof sei das der Gehweg nahe der Mahnwache der Stuttgart-21-Gegner gewesen. Da bei beiden Aktionen die alternativen Versammlungsorte nicht angenommen wurden, löste die Stadt die Versammlungen auf und ließ das von der Polizei vollstrecken. Da die Aktivisten – in beiden Fällen drei junge Männer – danach aber immer noch nicht gehen wollten, wurden sie weggetragen. „Dabei habe ich mich steif gemacht, damit es leichter geht“, sagte Ott. Er wollte der Polizei keine Probleme machen. Bei der Aktion in Degerloch sei der Mann mit der angeklebten Hand einfach von der Straße gezogen worden. Die Hand sei dadurch „leicht gerötet“ gewesen. Der Einsatzleiter vom Bahnhof erklärte, dass man so nicht vorgehen solle. Die Polizei habe, seit die Methode des Festklebens Schule mache, die eindeutige Anweisung, die Feuerwehr hinzuzurufen. Diese habe die notwendige Erfahrung und Ausstattung, um die Protestierenden von der Straße wegzubekommen. Am Bahnhof sei das erst mit Desinfektionsmittel versucht worden, dann mit einem andern Lösungsmittel geglückt.

In beiden Fällen wollte der Richter Joachim Spieth genau klären, ob denn im Notfall Rettungsfahrzeuge durchgekommen wären. Der Angeklagte und sein Zwillingsbruder, der Anwalt, machten deutlich, dass die Gruppe von Anfang an immer darauf geachtet habe, dass die Straße schnell geräumt werden könne. Es klebe sich wenn dann immer nur einer der Protestierenden an, der oder die so sitze, dass Rettungsfahrzeuge durchkommen, wenn die nicht festgeklebten Protestierenden aufstehen und gehen.

Der Richter Joachim Spieth sagte bei der Urteilsverkündung, dass er grundsätzlich großen Respekt vorm Engagement des Angeklagten habe. Dennoch, so appellierte er, müsse er sehen, dass man Veränderungen nur bewirken könne, wenn man viele Menschen hinter sich bringe. Der Richter äußerte große Zweifel, ob die umstrittenen Blockadeaktionen dazu geeignet seien.

Das Urteil reduzierte die ursprünglich verhängte Strafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro auf 900 Euro, bestehend aus 60 Tagessätzen à 15 Euro. Den Vorwurf des Widerstandes gegen Beamte sah der Richter nicht als bestätigt an. Im Gegensatz zur Anklage ging er auch nicht von einer Nötigung, sondern von versuchter Nötigung aus.