Bekannte Missbrauchsopfer, die darüber gesprochen oder geschrieben haben (von links oben): Lady Gaga, Wolfgang Niedecken, Harald Glööckler, Oprah Winfrey, Jane Fonda, Pamela Anderson. Foto: dpa

Natascha Ochsenknecht, Wolfgang Niedecken, Harald Glööckler: Es gibt viele Prominente, die über sexuellen Missbrauch gesprochen haben. Hilft das anderen Betroffenen?

Berlin - Lady Gaga, Wolfgang Niedecken, Harald Glööckler, Oprah Winfrey, Jane Fonda, Pamela Anderson, der britische Schriftsteller Edward St. Aubyn, Klaus Kinskis Tochter Pola: Sie alle haben als Betroffene über sexuelle Gewalt und Missbrauch gesprochen oder geschrieben. Sie haben sich in Interviews, im Netz oder in Büchern Luft gemacht, in Kauf genommen, dass ein Stempel droht: „Opfer“. Gerade ist es Natascha Ochsenknecht, die Ex-Frau von Uwe Ochsenknecht. Sie sammelt als betroffene Mutter in einer Online-Petition Unterschriften für schärfere Strafen bei Kindesmissbrauch.

Das passt in die Zeit. Die Missbrauchsfälle in Münster, Bergisch Gladbach und Lügde haben mit ihren Details und Dimensionen viele Menschen in Deutschland durchgerüttelt, auch die Politik. Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zögerte erst, nun will sie doch härtere Strafen für Pädokriminelle.

Ein Schrebergarten voller Kameras

Der Tatort in Münster war ein Schrebergarten voller Kameras. Das Thema spielt mitten in der Gesellschaft. „Wie schrecklich und furchtbar es ist, dass Kindern so etwas widerfährt“, sagte Natascha Ochsenknecht der „Süddeutschen Zeitung“. „Man tötet die Seele eines Menschen mit diesen Taten. Das macht mich wütend und traurig zugleich.“ Seit dem Missbrauch an ihrem heute 30 Jahre alten Sohn Wilson vor 25 Jahren beschäftige sie sich mit diesem Thema. „Als ich damals herausgefunden habe, was meinem Kind passiert ist, war das wie ein Stich ins Herz.“

Wilson wurde als Sechsjähriger von einem Bekannten der Familie missbraucht. Er hat darüber früher gesprochen. Aktuell will er das Thema selbst nicht auswalzen, er ist mit Dreharbeiten beschäftigt. Er ist aber mit der Kampagne seiner Mutter einverstanden und teilt die Petition im Netz, wie sein Management betont. Wilsons Kommentar bei Instagram: „Ich habe vor 25 Jahren gelernt damit umzugehen, dass es eine Krankheit ist.“ Wer sich jedoch nicht frühzeitig Hilfe hole und zu weit gehe, müsse ordentlich bestraft und eingesperrt werden.

Ein Pater als Täter

So hält es auch der Musiker Wolfgang Niedecken. Er war 13 Jahre alt, als er in einem Internat bei Köln von einem Pater geschlagen und sexuell missbraucht wurde. Wenn er beim Vokabel-Abfragen stockte, wurde er anschließend blutig geprügelt – mit einem Stock, den er sich selber schneiden musste. Abends konnte es passieren, dass ihn der Mann aus dem Bett holte. „Dann durfte man sich bei dem auf den Schoß setzen und wurde befummelt.“ Es sei der perfekte Psychoterror gewesen. „Bei diesem Peiniger mussten wir dann auch noch beichten gehen“, erzählte der heute 68 Jahre alte BAP-Frontmann 2019.

Modeschöpfer Harald Glööckler (55) erinnerte sich 2018 in der „Bild“-Zeitung, er sei fünf oder sechs Jahre alt gewesen, als ein Stammgast des Wirtshauses seiner Eltern sich in einem Waldstück vor ihm ausgezogen, ihn angefasst und ihn gezwungen habe, auch ihn zu berühren. „Wir machten einen Ausflug, meine Eltern haben sich nichts dabei gedacht. Es war ja ein netter Onkel, wie man damals sagte“, erinnert sich der Designer.

Prominente haben Reichweite

Glööckler fühlte sich damals „wie erstarrt“. Der Täter habe schließlich wegen eines heranfahrenden Traktors von ihm abgelassen. Er habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass er nicht selbst schuld gewesen sei. Den Täter zur Rede gestellt habe er auch als Erwachsener nie: „Ich musste das verdrängen. Sonst wäre ich verrückt geworden.“

Welche Rolle spielt es, wenn sich Betroffene äußern, die prominent sind? Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger sieht es positiv. „Es ist schon hilfreich.“ Prominente hätten eine andere Reichweite. „Man muss lernen, selbstverständlich über das Thema zu reden.“ Dabei könnten Prominente helfen. Auch die Online-Petition von Natascha Ochsenknecht findet sie als „Rundumpaket“ gut und sinnvoll.

Raus aus der Tabuzone

Insgesamt hat sich aus ihrer Sicht der Umgang mit sexuellem Missbrauch in Deutschland geändert. Früher ging es eher um Frauen als Betroffene, seit den Skandalen in der Kirche und Schulen verstärkt auch um Männer. Heute würden die Taten gefilmt und ins Netz gestellt, das löse eine andere Empörung aus, sagt die Expertin. „Wir bewegen uns langsam aus der Tabuzone heraus.“

Ursula Enders von der Kölner Informationsstelle Zartbitter legt Wert darauf, dass prominente Eltern Taten nicht öffentlich machen sollten, wenn die Kinder nicht erwachsen genug sind, um damit einverstanden zu sein. Was die Gesellschaft angeht: Die glaube nun das Ausmaß des Missbrauchs. „Jetzt können sich Betroffene zeigen.“ Sie hält es für absolut sinnvoll, wenn Prominente über ihre Erfahrungen sprechen.

Enders wünscht sich, dass das in vielen Bereichen passiert, in Spitzensport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. „Es wäre längst an der Zeit, dass diese Menschen sich äußern, auch um dem Mythos entgegenzuwirken, dass Missbrauch immer lebenslange Folgen hat.“ Gerade für Männer als Betroffene sei es schwierig, darüber zu sprechen. Wilson Ochsenknecht sieht sie als Mutmacher mit Signalwirkung: „Der ist ja kein Opfer, sondern ein Star.“