Wenn die bunten Fahnen wehen: OB Fritz Kuhn und seine Frau Waltraud Ulshöfer beim Start des internationalen Tanzfestes „Colours“ vor dem Theaterhaus. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Laut, heftig, orkanartig – das Tanzfestival „Colours“ hat gleich zur Eröffnung das Publikum berauscht, verwirrt und beglückt. Stadtpromis, Sponsoren und Kulturwelt eilen zahlreich herbei, wenn Eric Gauthier ins Theaterhaus ruft.

Stuttgart - FürEric Gauthier, 40, den Tausendsassa des modernen Tanzes, ist er sein „zweiter Dad“. Reid Anderson, 68, der scheidende Intendant des Stuttgarter Balletts, hat ihn 1996 aus Kanada als Tänzer mit nach Stuttgart gebracht, wo sich der Jüngere vor zehn Jahren abgenabelt und sich mit eigener Kompanie selbstständig gemacht hat. An diesem Abend sitzt Anderson mit Lebenspartner Dieter Gräfe, dem Erben von John Cranko, in der Mitte der Reihe neun. „Mega Israel“, so heißt das Programm, mit dem Gauthier Dance furios, spektakulär, aber auch zuweilen skurril in die bunten Wochen des internationalen Tanzfestivals „Colours“ startet. Der Intendant des „großen Balletts“ von Downtown ist froh, wie er zugibt, dass seine Premieren nicht mit der Aufzählung vieler Sponsorennamen beginnen müssen.

Beim kleineren, mindestens so ehrgeizigen Ballett von Uptown sind öffentliche Gelder zu knapp, um allein damit ein internationales Treffen mit so vielen Tanzstars bestreiten zu können. Dem Charme und der Leidenschaft von Eric Gauthier kann sich kaum ein Unternehmen entziehen, das er um finanzielle Hilfe bittet. Die Förderer wollen eine werbliche Gegenleistung, versteht sich.

Wenn sich Werner Schretzmeier, der Chef des Theaterhauses, in seiner Vorrede vor den Geldgebern verneigt, dem Arbeitgeberverband Südwestmetall ebenso dankt wie Lotto, Hochland-Kaffee,Wittwer und Stihl, so ist das immer noch besser, als würden die Tänzerinnen und Tänzer wie Fußballprofis Firmenlogos auf Kostümen tragen.

Die Lieblingsfarbe des Hauptsponsors ist „die Farbe bunt“

Das Sponsorendanken kann unterhaltsam sein, wie Schretzmeier vorführt. Und Franz Reiner, der Vorstandsvorsitzende des Hauptsponsors Mercedes-Benz-Bank, sagt schließlich den schönen Satz, die Lieblingsfarbe seines Hauses sei „die Farbe bunt“. Zu den Grundwerten der Bank zählten „Vielfalt und Toleranz“, weshalb diese in Kürze beim Christopher Street Day in Stuttgart Farbe bekennen und sich an der Parade für Akzeptanz von Schwulen und Lesben beteiligt. Wie bunt die Stadt ist, zeigt sich bereits auf dem Fußweg zum Theaterhaus. Immer wieder sieht man den Buchstaben C, der in gemalten Farben vom Boden aus strahlt. C wie Colours. Bunte Fahnen wehen am Theatereingang. Stuttgart leuchtet.

In seiner neunten Reihe ist Reid Anderson begeistert von den tänzerischen Höchstleistungen. „Unglaublich“, lobt er, „wie die Frauen 20 Minuten lang auf Spitze tanzen.“ Von den Akteuren ist später zu hören, dies sei der schwierigste Tanz gewesen, den sie jemals getanzt haben. Andersons Partner Dieter Gräfe ist ehrlich und sagt nach „Killer Pig“, dem Auftritt der jungen Frauen, die sich wie androgyne Amazonen bewegen, dass ihm der laut hämmernde Techno-Sound nicht gefallen hat. „Dafür bin ich wohl zu alt“, meint er, während er die Stöpsel aus den Ohren zieht. Die Musik, sagt eine Zuschauerin, erinnere sie mit diesem heftigen Klack-Klack-Klack an den Lärm in der Röhre einer MRT-Untersuchung.

Der Südwestbank-Chef findet’s „einfach Mega“

Nach der Pause wird das Finale mit mutigen Besucherinnen, die zum Tanzen auf die Bühne geführt werden, so beschwingt und leicht, wie dies bei Sonnyboy Eric Gauthier in der Vergangenheit oft gewesen ist. Die Lebensfreude kehrt ins Scheinwerferlicht zurück. Hochland-Chefin Martina Hunzelmann, die fürs Festival eine „Tanzschorle“ mit Traubensaft in Dosen herstellen ließ, findet die extreme Bandbreite bei einem Abend, der „Mega Israel“ heißt, passend. Angst , das Düstere und Aggressionen steckten in einem Land, das mit dem Krieg leben müsse. Gleichzeitig wollten die Menschen der Bedrohung entfliehen und drehten beim Feiern und Fröhlichsein umso heftiger auf.

Bei der Premierenparty jubelt Wolfgang Kuhn, der Chef der Südwestbank, es sei „mega“ gewesen. „Mega“ gehört zu den Lieblingsworten von Eric Gauthier, wie er bei der Begrüßung gesagt hat. Mega bedeutet, dass was noch besser ist als sehr gut. Unter den Gästen: Tamas Detrich, der künftige Chef des Stuttgarter Balletts, und seine Frau, die Ex-Tänzerin Marion Jäger, Ballettlegende Egon Madsen, Stefan Wolf, Vorsitzender von Südwestmetall, MdB Stefan Kaufmann, Stadträtin Laura Halding-Hoppenheit, Varieté-Chefin Gabriele Frenzel, der Starchoreograf Ohad Naharin aus Israel, Lotto-Chefin Marion Caspers-Merk, Wittwer-Geschäftsführer Rainer Bartle.

Wenn die „Waltraud“ ihren „Fritz“ mitbringt

„Faszinierend“ findet VfB-Präsident Wolfgang Dietrich die Premiere der Gauthier-Kompanie, die, wie er lobt, in der ersten Liga spielt, wie seine Mannschaft wieder. Gauthier sei ein großer VfB-Fan, der oft zu den Spielen in die Mercedes-Benz-Arena komme. Dass Dietrich „von Sieg zu Sieg“ eile, wie dies OB Fritz Kuhn in seiner Rede im Theaterhaus gerühmt hat, stimme freilich nicht, in der neuen Saison schon gar nicht.

Schön sei es, hat Hausherr Schretzmeier in der Begrüßung gesagt, dass die „Waltraud“ zum Farbenrausch den „Fritz“ mitgebracht habe. Waltraud Ulshöfer ist Tanzfan und Frau des Rathauschefs. Kuhn wiederum ist happy, OB der „führenden Tanzstadt“ von Europa zu sein, jubiliert er. Was sich in Stuttgart beim Ballett und in der freien Tanzszene tue, sei „sensationell“.

Ach was, Herr Kuhn, das ist mega!