Die jungen Kicker lernen verschiedene Vereine kennen – hier den FC Fatihspor Pforzheim Foto: din

Jungs lesen nicht gern? Von wegen – es muss nur das richtige sein. Beim Projekt Kicken und Lesen haben 22 Schüler aus Pforzheim passenden Stoff gefunden: die Sportseiten der Tageszeitungen.

Pforzheim - Nach dem Abpfiff geht’s zum Anpfiff. Am Freitag um 18 Uhr endete für die Jungen das einwöchige Fußballcamp, damit bleibt ihnen genug Zeit, um sich auf einen weiteren Höhepunkt am Abend vorzubereiten: das Weltmeisterschaftsspiel Spanien-Holland. Denn bei allen Unterschieden haben die 22 Schüler zwischen 10 und 16 Jahren eines gemeinsam. Sie sind leidenschaftliche Kicker – deshalb haben sie sich für das Projekt Kicken und Lesen qualifiziert.

Es ist ein ganz besonderes Team – von den 22 Schülern aus sechs Pforzheimer Schulen haben neun körperliche oder geistige Behinderungen. Das mindert ihre Spielfreude keineswegs. Denn zum einem lernen sie eine Menge voneinander – manche verbessern ihre fußballerischen Tricks, andere spielen erstmals in Rollstühlen Basketball. Zudem verschafft ihnen das Programm Zugang zu neuen Welten. Sie haben beispielsweise verschiedene Vereine in ihrer Stadt kennen gelernt, die mit ihnen in den vergangenen Tagen trainiert haben – für die Vereine auch eine Chance, neue Talente zu entdecken.

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Doch auch für den zweiten Teil des Programms – das Lesen – ist jeden Tag Zeit eingeplant. Weil das zumeist anders abläuft als in den Schulen, verliert mancher die Berührungsängste mit bedrucktem Papier. Denn hier geht es vor allem um Sport und das Leben von Sportlern, das macht neugierig. Und beim Schreiben eines eigenen Theaterstücks sprudeln die Ideen leichter als bei Klassenarbeiten. Eine Entdeckung ist für manchen auch die Bibliothek, die ihnen freien Zugang zu Zeitungen, Zeitschriften und Büchern ermöglicht. Denn in vielen Familien gibt es diese Medien nicht. Quasi nebenbei, beim Frühstück und Mittagessen, das sie selbst vorbereiten, erfahren die Jungen auch noch einiges über gesunde Ernährung .

Saad ist von dem Projekt begeistert. Der 13-Jährige, der vor drei Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam, ist zum zweiten Mal dabei und kümmert sich viel um die Rollstuhlfahrer. Er habe schon früher gern gelesen, erzählt der Realschüler. Aber mit der neuen Sprache und der anderen Schrift sei er anfangs überfordert gewesen. Inzwischen klappt es aber immer besser. In den nächsten Wochen interessieren ihn natürlich vor allem die Sportseiten in den Zeitungen und die Sportzeitschriften, nach den Weltmeisterschaften will er sich aber wieder mehr Zeit für Abenteuerromane nehmen.

Die Stadt Pforzheim beteiligt sich bereits zum dritten Mal an dem Projekt der Landesstiftung. Überzeugt habe die Jury in dieser Runde, dass Kinder mit und ohne Behinderungen beteiligt sind, berichtet Sandra Dienger, Sachbereichsleiterin der Schulsozialarbeit in Pforzheim. In der Stadt hat das Projekt inzwischen viele Nachahmer gefunden. Auch Schulen, die bei der offiziellen Ausschreibung nicht zum Zug gekommen sind, machten ihren Schülern inzwischen ähnliche Angebote, so Dienger.

Solche Projekte sind wichtige Schritte zur Inklusion, sagt Roger Schreiber, Leiter der Gustav-Heinemann-Schule, an der Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen lernen. Viele seiner Schüler besuchen – teilweise mit Unterstützung von Sonderpädagogen – Regelschulen. Das Zusammensein helfe, Vorurteile abzubauen, sagt er.

Insgesamt 4000 Euro hat Pforzheim aus Stuttgart erhalten – und damit zwei Projektwochen organisiert – die erste in den Osterferien. Im Juli folgt dann die nächste Runde. Sieben Schüler dürfen zum zweitägigen VfB-Camp nach Stuttgart fahren. Und am Ende der Sommeferien wird nochmals zwei Tage lang gemeinsam trainiert und gelesen.

www.kickenundlesen.de