7,5 Millionen Kilowattstunden Wärme verpuffen bislang ungenutzt. Jetzt wollen Kreis und Stadtwerke Backnang die Energie aus der Biovergärungsanlage Neuschöntal in die Innenstadt bringen – mit einem ehrgeizigen Ziel.
Eine Menge Energie ist bisher einfach verpufft: 7,5 Millionen Kilowattstunden Wärme aus der Biovergärungsanlage in Neuschöntal gingen seit dem Ende der benachbarten Klärschlammtrocknung 2021 jedes Jahr schlicht verloren. Genug Energie, um rund 500 Haushalte durch den Winter zu bringen. „Dass wir die Abwärme nicht mehr nutzen, schmerzt uns sehr“, sagt Landrat Richard Sigel. „Jetzt aber bringen wir sie gemeinsam mit den Stadtwerken in die Stadt.“
Was bisher als energetisches Versäumnis galt, soll nun Teil einer ambitionierten Wärmewende werden. Der Verwaltungsrat der Abfallwirtschaftsgesellschaft Rems-Murr(AWRM) hat jetzt über den Stand eines Projekts informiert, das nach viel Planung endlich konkret wird: Die ungenutzte Abwärme aus der Biovergärung soll künftig in ein neues, klimafreundliches Fernwärmenetz eingespeist werden. Gesicherte Großabnehmer: das Berufsschulzentrum und das Landratsamt.
Abfall wird Energie – und Wärme zur Chance
In der kreiseigenen Biovergärungsanlage Neuschöntal werden jährlich rund 35 000 Tonnen Bioabfall aus dem Rems-Murr-Kreis verarbeitet. In einem zweistufigen Verfahren entsteht daraus Biogas, das in Blockheizkraftwerken zu Strom und Wärme umgewandelt wird. Die Bilanz: etwa zehn Millionen Kilowattstunden Strom – gut für den Bedarf von 3000 Haushalten – und genauso viel Wärme. Ein Viertel davon braucht die Anlage selbst, der Rest wartet auf ein zweites Leben.
Bis 2021 ging diese Wärme an die benachbarte Klärschlammtrocknung. Nach deren Stilllegung stand die Energie im Abseits – und damit auch ein zentraler Baustein für die Wärmewende in Backnang. Doch nun kommt Bewegung in die Sache. Gemeinsam mit der Stadt und den Stadtwerken wurde ein Plan entwickelt, der die überschüssige Energie direkt in die Kernstadt führen soll.
Ziel: Anschluss der Großverbraucher bis 2027
Die Maßnahme sei auch ein wichtiger Baustein in der Klimaroadmap des Kreises, sagt der Landrat Richard Sigel. „Die Wärmeleitung kommt gerade recht, die Rädchen greifen sehr gut ineinander. Wir stellen zwei riesengroße Liegenschaften auf klimaneutral.“ Gemeint sind das Backnanger Berufsschulzentrum, das bis Ende 2026 ans Wärmenetz angeschlossen werden soll und das Landratsamt in der Erbstetter Straße, das ein Jahr später folgen soll.
Beide Gebäude gelten als Sanierungsfälle – energetisch betrachtet. Mit der neuen Wärmeversorgung könnten aufwendige Einzelmaßnahmen vermieden, Kosten gespart und gleichzeitig CO₂-Emissionen reduziert werden. Auch der Kreishaushalt dürfte durch den geringeren Sanierungsbedarf entlastet werden.
Trasse mit Brücke statt Umweg
Ursprünglich war geplant, die Fernwärmeleitung nördlich der Murr zu verlegen – mit dem Ziel, auch das Gelände, das im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) neu erschlossen wird, mitzunehmen. Doch technische und strategische Überlegungen führten zu einem Richtungswechsel. Der neue Plan: eine 3,2 Kilometer lange Trasse über eine bestehende Brücke südlich der Murr. Der Vorteil: kürzerer Weg, weniger Tiefbau – und schnellerer Anschluss der Großverbraucher. „Mit der neuen Variante nutzen wir bei der Querung der Murr eine bestehende Brücke und erreichen die Großverbraucher schneller als in der ursprünglichen Planung“, erklärt der AWRM-Vorstand Lutz Bühle.
Förderung winkt, Umsetzung naht
Die Grundlage für den baldigen Baubeginn bildet eine Machbarkeitsstudie, die im Rahmen der „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze“ (BEW) Ende 2024 abgeschlossen wurde. Der nächste Schritt: die Beantragung investiver Fördermittel. Die Verantwortlichen hoffen auf eine Zusage bis Mitte 2025. Läuft alles nach Plan, rollen ab 2026 die Bagger.
In einem ersten Bauabschnitt sollen Wärmekunden im Bereich Südstraße mit einem Bedarf von 6700 Megawattstunden jährlich versorgt werden. Ein zweiter Abschnitt folgt Richtung Norden und Osten, dort warten weitere 9050 Megawattstunden Wärmebedarf. Auch bestehende kleinere Wärmenetze sollen integriert werden.
Stadt will Vorbild sein
Die Stadt Backnang, deren 70 kommunale Gebäude nur fünf Prozent des städtischen Gesamtwärmebedarfs ausmachen, will mit gutem Beispiel vorangehen. Schon jetzt werden Verbrauchsdaten erhoben, Sanierungsfahrpläne erstellt und Nutzer geschult. Eine Energiemanagerin wacht über Verbrauch und Effizienz. Das Ziel: Bis 2035 soll der Wärmebedarf um 65 Prozent gesenkt werden.
Die Stadt vernetzt sich, baut aus, setzt auf Synergien. Die Kombination aus Bio-Abwärme, Abwasserwärme und bestehenden Netzen soll einen echten Energieschub bringen. Der Landkreis leistet dazu einen nicht unerheblichen Beitrag – und profitiert selbst davon.