Nina Bayer übt mit Laes Lesen und bringt ihn mit Hieroglyphen zum Lachen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Nach der Einschulung in Regelklassen sind etliche Kinder aus Flüchtlings- oder Zuwandererfamilien überfordert. Mentoren begleiten sie nach der Schule, sprachlich und kulturell Fuß zu fassen.

Stuttgart - Laes ist pünktlich zur Stelle. „Wir gehen erst mal nach oben“, sagt Nina Baier und steigt mit ihm die Treppen in der Carl-Benz-Schule hoch. In einem der Klassenzimmer bereitet eine Lehrerin gerade den muttersprachlichen Unterricht für die Kinder aus Italien vor. Hinten im Klassenzimmer stehen Plastikboxen, von denen Nina Baier eine aus dem Regal holt. Sie tippt einen Code ein, öffnet die Box und holt ein bebildertes Buch über Pyramiden und Pharaonen hervor. „Schau“, sagt sie zu Laes, „das sind Grabkammern. Du kannst den Künstlern beim Arbeiten zusehen. Erkennst du, was sie machen?“ „Die schreiben etwas“, sagt er, und erfährt, dass nicht nur er, sondern auch die alten Ägypter andere Schriftzeichen benutzt haben. „Hieroglyphen“, erzählt ihm seine erwachsene Begleiterin.

Nachmittags im Tandem unterwegs

Seit vergangenem Sommer treffen sich der elfjährige Laes und die 34-jährige Nina Baier mehrmals im Monat für ein paar Stunden. Sie ist seine Mentorin und für die Organisation „Kinderhelden“ aktiv. „Wir lernen zusammen, wir können auch jederzeit an die Lernboxen ran, können hier an der Schule Spiele ausleihen, oder ich hole mir Anregungen aus der Dropbox der Kinderhelden.“ Die Organisation, eine gemeinnützige GmbH, bringt Tandems wie Nina und Laes zusammen. Sie ist Freundin und Lehrerin zugleich für ihn, sie trainiert mit ihm Deutsch und zeigt ihm die Stadt.

Laes ist aus Syrien und besucht die vierte Klasse der Carl-Benz-Schule in Bad Cannstatt. „Lesen tue ich am liebsten“, sagt er. Schlittschuh seien sie schon zusammen gefahren, das Theater, das Museum und die Bibliothek besuchten sie öfter, und das Mauganescht, den Aktivspielplatz im Hallschlag, hat ihm seine Mentorin ebenfalls gezeigt. „Ich kenne mich schon ein bisschen aus“, sagt der Junge stolz.

Warteliste für Schüler

Nina Baier hat einen Vollzeitjob im Landesmuseum. „Ich habe freitags Gleitzeit. Wenn ich Laes treffen möchte, rufe ich seinen Vater auf dem Handy an. Der gibt dann das Telefon an seinen Sohn weiter, und wir verabreden uns“, erzählt sie. Manchmal schicke sie Bilder von den gemeinsamen Unternehmungen auf das Handy des Vaters. Sie sei auch schon von der Familie zum Tee eingeladen worden. Den Dolmetscher gab der kleine Laes.

Ingrid Vanek, die Rektorin der Carl-Benz-Schule, einer Grundschule im Hallschlag, stellt fest: „Laes kann viel besser lesen als anfangs, sein Wortschatz ist gewachsen, und er erzählt mehr und länger als früher.“ Die Lehrer, die ihre Schüler für das Tandemprojekt empfehlen, stimmen mit den Kinderhelden den Bildungsplan ab, die Mentoren tragen Fortschritte in ein Tagebuch ein. 25 Tandems für Kinder aus den Asylunterkünften und aus schwierigen Familienverhältnissen gibt es momentan an dieser Schule, bis zu zehn Kinder stehen auf der Warteliste.

Kinderhelden suchen Ehrenamtliche

„Die Eltern freuen sich sehr über dieses Angebot. Allerdings sollen die Mentoren keine Lehrer ersetzen, sondern spielerisch und situativ mit den Kindern lernen“, sagt sie. Das Wichtigste sei, dass ein Erwachsener ganz allein für ein Kind da ist. Die Kinder würden selbstsicherer, besser in Deutsch und bekämen leuchtende Augen. „Chancengleichheit wird nicht allein durch ein Ganztagsangebot geschaffen. Chanchengleichheit braucht Zuwendung.“

Mit einem Pilotprojekt an der Heusteigschule im Süden hatten die Kinderhelden in Stuttgart begonnen. Daraufhin etablierte sich das Mentorenprojekt an vielen anderen Schulen mit nunmehr 300 Aktiven. Es ist inzwischen so gefragt, dass derzeit weitere 50 Ehrenamtliche gesucht werden. Die Vermittlung und Qualifizierung der Ehrenamtlichen wird über Spenden und Stiftungsgelder finanziert, der Einsatz an den Schulen von der Abteilung Bildungspartnerschaft der Stadt. Kinder mit Fluchterfahrung sind von der Ganztagsschule und der außerschulischen Betreuung ausgeschlossen. Das Land zahlt maximal 25 Stunden pro Woche in der Schule. „Das ist bedauerlich und ein Versäumnis des Landes“, sagt Sozialbürgermeister Werner Wölfle, dessen Referat für die Bildungspartnerschaft zuständig ist. Die Taskforce Integration, so Wölfle, denke darüber nach, ob nun die Stadt „referatsübergreifend mehr für eine integrationsfördernde Tagesstruktur sorgen sollte“.

Gegen Fußball kommt kein Buch an

Laes rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und wirft sehnsüchtige Blicke auf den Schulhof. Dort bolzen einige andere Jungs. Er fährt sich durch die Haare und sagt: „Am liebsten spiele ich Fußball.“ Zweimal schon sei er mit Nina Baier im Kindermuseum gewesen bei der Ausstellung „7 Superschwaben“. Sein Held ist natürlich der Fußballstar Sami Khedira. Kinderheldin Nina Baier kennt Laes’ Leidenschaft und geht gelegentlich einen Deal ein: Eine halbe Stunde Lernen gegen eine halbe Stunde Kicken. „Möchtest du denn runter?“, fragt sie. Laes strahlt, nickt – und ist weg.