An der Nikolauspflege in Stuttgart stehen größere Umbauarbeiten an. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Passanten und Autofahrer auf der Kräherwaldstraße in Stuttgart haben sich schon gewundert über Brücken für Versorgungsleitungen und Absperrungen. Das waren erste Anzeichen für ein großes Vorhaben.

Stuttgart - Auch wer das Anwesen nur von außen betrachtet oder daran vorbeifährt, bemerkt die Veränderung. Über die Kräherwaldstraße sind zwei Behelfsbrücken errichtet worden, Stromtrassen überqueren dort die vielbefahrene Straße am Waldrand im Stuttgarter Nordwesten. Als die Stiftung Nikolauspflege im Februar die Baugenehmigung für ihr Großprojekt erhielt, ließ man keine Zeit verstreichen. Wenn alles nach Plan verläuft, dann ist die Um- und Neugestaltung der Schule auf einer Baufläche von knapp 8000 Quadratmetern in drei Jahren abgeschlossen. Es entsteht ein Campus für blinde, sehbehinderte, mehrfachbehinderte und sehende Kinder. Ein moderner Ort der Inklusion.

Seit 1827 der Lehrer Gottlieb Friedrich Wagner erstmals in Stuttgart „Blindenunterricht“ für einen Schüler gab und sich 20 Jahre später die Fürstin Olga von Württemberg der Sache annahm und die nach ihrem Vater, Zar Nikolaus I. von Russland, benannte „Nikolaus-Pflege für blinde Kinder“ gründete, hat sich viel getan. Die 1908 an den heutigen Standort am Kräherwald gezogene Einrichtung konnte zunächst 80 bis 100 Menschen betreuen. Heute sind es rund 220 Schülerinnen und Schüler, die im Betty-Hirsch-Schulzentrum einer schulischen und beruflichen Ausbildung nachgehen. Teilweise geschieht das im Internatsunterricht, da sich das Einzugsgebiet auf ganz Baden-Württemberg erstreckt und das Interesse aufgrund der sehr hohen Spezialisierung des Lehrangebots groß ist. „Wir haben steigende Schülerzahlen und brauchen dafür mehr und andere Räumlichkeiten“, sagt Anne Reichmann, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Nikolauspflege.

Das denkmalgeschützte Haupthaus bleibt

Platzmangel und lückenhafte Barrierefreiheit auf dem Gelände stünden den modernen Erfordernissen der Teilhabe im Weg, hatten die Verantwortlichen schon lange erkannt. Vor fünf Jahren bereits reiften die Pläne der räumlichen Umgestaltung, als das Stuttgarter Büro Birk, Heilmeyer und Frenzel mit seinem Gestaltungsvorschlag den Architektenwettbewerb gewann. Das unter Denkmalschutz stehende Haupthaus zu erhalten, Neubauten anzuschließen und das Ganze mit dem selbsterhobenen Anspruch einer kompletten Barrierefreiheit und blindengerechten Infrastruktur bautechnisch zu verbinden, sei eine „sehr anspruchsvolle Aufgabe“, so Roland Flaig, Vorstandsmitglied der Nikolauspflege.

Zurzeit beginnen die Abrissarbeiten

Schon die Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen, sprich die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und Medienanschlüssen, sei eine Herausforderung gewesen, betont Michael Speidel, Projektleiter der Reutlinger Atrium Projektmanagement GmbH, angesichts der besonderen Lage: „Die Lösungsfindung hat uns lange beschäftigt.“ Derzeit beginnen die Abrissarbeiten an drei Gebäudeeinheiten aus den 70er und 80er Jahren. An ihre Stelle kommen Fachräume, eine neue Sporthalle und ein Atriumgebäude, gesäumt von einer attraktiven Außenanlage mit Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für die Bewohner des Internats.

Das Gesamtbudget beträgt 40 Millionen Euro, das Land hat rund elf Millionen Euro an Zuschüssen über die Schulbauförderung und Eingliederungshilfe zugesagt. Mit „erheblichen Eigenmitteln“ (Flaig), auch aus Spendengeldern, und einer „guten Auslastung über Jahrzehnte hinweg“ will die Stiftung ihre bisher größte Investition stemmen.