Keine Gangster, aber Rapper: Saskia Lies und Tayfun Altundas drücken ihr Lebensgefühl, ihre Erwartungen, Ängste und Hoffnungen mit Musik aus. Foto: Leif Piechowski

Sie erzählen von ihrem Leben. Von ihrem Viertel, von ihrer Angst zu versagen, von ihrer Hoffnung, gebraucht und anerkannt zu werden. Sieben Jungs und ein Mädchen haben mit Musikprofis wie Kaas und Kodimey ein Video aufgenommen.

Rapper sind Gangster, Angeber, Schwulenhasser und Frauenfeinde. Das muss man unweigerlich glauben, lauscht man Sido, Massiv, Bushido, Fler vom Aggro-Label aus Berlin, bei denen der Name der Plattenfirma Programm ist, oder den amerikanischen Urvätern Ice-T, NWA, Snoop Dog. So erfolgreich haben diese das Genre besetzt, dass einem bei Rap unwillkürlich dicke Hosen und Goldketten in den Sinn kommen, Blingbling nennt man dieses Protzen. Und es ist stilbildend für Jugendliche in aller Welt, auch wenn sie nicht in der Bronx, sondern in Botnang leben.

Die Caritas hat sich mit dem Projekt „Rap and Produce!“ zum Ziel gesetzt zu zeigen, „welche Botschaften da transportiert und welche negativen Bilder erzeugt werden“, sagt Baykar Tavit von der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart-Süd. Und positive Bilder dagegenzusetzen.

Ich schau’, der Himmel weint, ich hör’ eine Stimme schreien, ich spüre die Kälte, es ist nicht nur ein bisschen kalt, ich seh’ den Regen fallen, Tränen fallen, jeden  Tag. Das singt Tayfun Altundas. Ein 20-jähriger Lehrling aus Reichenbach an der Fils. Mit Mark, Eddy, Robin, Kubi, Wisam, Ahmet und Saskia hat er ein Video gedreht. Gemeinsam haben sie die Musik gemacht, die Texte geschrieben und einen Tag lang am Nordbahnhof und in Heslach ihre Ideen umgesetzt. Geholfen haben ihnen Kodimey, der den Stuttgarter Vorzeige-Hip-Hopper Cro produziert, und Kaas, Mitglied der Gruppe Die Orsons.

Nach jeder Nacht kommt ein neuer Tag, das Leben, es ist hart, es macht mich stark, ich komme damit klar, ich seh’ nicht mehr schwarz.

Das einzige Mädchen der Gruppe ist die 17-jährige Saskia Lies. In einem Workshop in ihrer Schule in Stuttgart-Rot hat sie das Projekt kennengelernt. Und war erst „unsicher“, ob sie mitmachen soll. „Ich will nicht so ins Rampenlicht“, sagt sie. Zwar schreibt sie Texte, aber die bekommen nur gute Freunde zu hören. Sich über soziale Netzwerke aller Welt zu zeigen käme ihr nicht in den Sinn. „Was ich schreibe, ist zutiefst persönlich“, sagt sie, „ich mag nicht so gern, dass viele Leute etwas über mich wissen.“

All die Krisen, die hinter uns liegen, schauen wir voller Hoffnung nach vorn. Die falschen Ziele, die uns antrieben, führten uns nur zu Hass und Zorn. Das singen sie alle gemeinsam im Refrain. Musik, das ist ihr Mittel, um sich auszudrücken. „Ohne Musik geht es nicht“, sagen Tayfun und Saskia. Mit seinem Bruder hat Tayfun früher „24 Stunden lang Tupac“ gehört. Ein amerikanischen Rapper, der erschossen wurde. Er sang über Gewalt im Ghetto, aber auch gegen Frauenfeindlichkeit. Doch so gern Tayfun Tupac hört, wenn er selbst Musik macht, „schreibe ich Texte über mein Leben, über Sachen, die mich angehen“.

Wie bitte sei mein Leben? In fünf Jahren sitz’ ich dann immer noch in der Scheiße, oder schaff’ ich es raus auf ehrliche Art und Weise? Lauscht man ihnen, dann geht es vor allem um die Zukunft. „Die sieht vernebelt aus“, sagt Tayfun. „Was werde ich sein?“, fragt er. „Wir müssen funktionieren“, sagt Saskia, „das hat man uns in der Schule klargemacht.“ Ohne gute Zensuren gibt’s keine Lehrstelle, „wir werden auf Noten reduziert“.

Im Leben bist du meist auf dich allein gestellt. Hast du eine Zukunft, oder fehlt es dir an Geld? Den meisten geht es gar nicht gut. Viele rennen weg vor Blaulicht. In Stuttgart gibt es keine Ghettos, keine Schießereien, keine Gangster mit Maschinenpistolen. Warum hört ein schwäbischer Junge Musik von bösen Buben? „So kannst du provozieren, dass du gehört wirst“, sagt Sozialarbeiter Tavit, „und zwar nicht nur der Musiker, sondern auch der, der es hört.“ Alles was Erwachsene in Rage bringt, freut Jugendliche. Doch davon gibt es nicht mehr allzu viel. Mit was noch provozieren, wenn alles erlaubt scheint? „Rap ist die Musik der Schwarzen in amerikanischen Ghettos, der Vorstadtjungs in Frankreich“, sagt Tavit. Doch in Stuttgart ist die Herkunft kein Thema. Zumindest verneinen das Saskia Lies und Baykar Tavit. „Das interessiert nicht“, sagen sie. Die Grenzen laufen nicht zwischen Schwarz und Weiß, Braun und Rosa, sondern zwischen Arm und Reich. Ich bete jede Nacht, denn ich habe so große Angst davor, dass ich mal in diesen Shit hier reingerat’. Doch ich hoffe, es hört auf jetzt, eines Tages werde ich mir Freiheit kaufen, ich gehe meinen Weg. Saskia geht nach ihrem Hauptschulabschluss auf die Wirtschaftsschule, sie macht die mittlere Reife, will später Abitur machen. „Ich bin die einzige Hauptschülerin in meiner Klasse“, sagt sie, „die anderen konnten das kaum glauben.“ Sie habe sich ausgegrenzt gefühlt. „Man wird abgestempelt“, sagt sie, „du steckst in einer Schublade und kommst kaum mehr raus.“

Mach was draus, sonst hast du’s verkackt, . . . geh in die Schule, mach dein’ Weg, ich geb’ dir einen Rat, sonst ist es zu spät, der Text kommt straight from the Heart. Tayfun hat eine Lehrstelle gefunden. Er lernt Einzelhandelskaufmann. Mit Hilfe von Baykar Tavit. „Man musste ihn ein bisschen anspornen“, sagt er. Es hat sich gelohnt. „Für mich hat das Projekt alles geändert“, sagt Tayfun, „ich weiß immer noch nicht, wie meine Zukunft aussieht, aber in der Ausbildung läuft es besser, als es je in der Schule lief.“ Er schaue nach vorne, mache weiter hobbymäßig Musik, teilt sie über den Videokanal You Tube im Internet. „Musiker oder Produzent wäre ein Traum“, sagt er, „aber ich mag meinen Job.“ Rapper müssen keine Gangster sein. Das haben die acht gelernt. Auch netten Jungs und Mädchen hört man zu.

Hätte ich mich früher für nichts interessiert, wäre ich jetzt der, der dein Haus lackiert. Aber Gott hat mir im Traum gezeigt, was passieren würde, wenn ich weitermachen würde . . . Gibt das Leben dir Zitronen, mach ne Limo draus.