Einige der derzeit 709 Abgeordnete in der Lobby des Deutschen Bundestags. Foto: dpa

Experten sagen voraus, dass die Veränderung im Parteiensystem das deutsche Parlament schon bei der nächsten Wahl auf 800 Volksvertreter aufbläht.

Berlin - Er hat mehr Mitglieder denn je – und könnte wegen der Veränderungen in der Parteienlandschaft noch deutlich größer werden: Derzeit sitzen 709 Abgeordnete im Bundestag. Das Portal Election.de hat nun berechnet, dass sogar 784 Volksvertreter ins Parlament kämen, wenn aktuell eine Bundestagswahl stattfinden würde.

Damit wären 186 Abgeordnete mehr im Bundestag, als es eigentlich vorgesehen ist. Seine Regelgröße liegt bei 598 Mitgliedern. Das Bundesgebiet wird für eine Bundestagswahl in 299 Wahlkreise unterteilt: Wer in einem dieser Wahlkreise die meisten Erststimmen der Bürger bekommt, zieht als direkt gewählter Abgeordneter ins Parlament ein (Direktmandat). Über die weiteren 299 entscheiden die Wähler mit der Zweitstimme, die sie auf Landesebene für die Kandidatenliste einer Partei vergeben. Was einfach klingt, erweist sich in der Wirklichkeit als kompliziert. Denn gewinnt eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise, als ihr aufgrund ihres Zweitstimmenergebnisses eigentlich zustehen, erringt sie Überhangsitze. Und diese Sitze werden so lange mit „Ausgleichsmandaten“ für die anderen Parteien ausgeglichen, bis das Wahlergebnis bei den Zweitstimmen in der gesamten Sitzzahl abgebildet wird: Aus 598 werden so 709 oder noch mehr Volksvertreter.

Dieses Phänomen zeigt sich auch in der aktuellen Prognose von Election.de. Sie besagt, dass CDU und CSU 240 Wahlkreise gewinnen würden, die SPD käme auf 26, die AfD auf zwölf und die Linkspartei auf fünf. Die Grünen dürften sich in 16 Wahlkreisen (darunter ist auch Stuttgart-Süd) über Sieg und Direktmandat freuen. Da aber die Union zugleich bei den Zweitstimmen nur auf etwa 30 Prozent käme, entstünde ein Bundestag im XXL-Format: Damit die 240 direkt gewählten Christdemokraten und Christsozialen nur 30 Prozent aller Abgeordneten stellen, steigt über die Ausgleichsmandate die Gesamtzahl der Parlamentarier auf knapp 800.

Schon der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte die Fraktionen eindringlich gemahnt, das Wahlrecht zu ändern, um künftig ein Megaparlament zu vermeiden. Dazu konnten sie sich aber nicht durchringen, auch wenn verschiedene Reformkonzepte auf dem Tisch lagen: Mal fürchteten die einen, mal die anderen, einen Nachteil, sprich: aufgrund einer Änderung weniger Sitze zu bekommen. Derzeit beraten auf Initiative von Wolfgang Schäuble die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen abermals über Änderungen, die eine Aufblähung des Bundestages verhindern könnten. Ein Ergebnis konnten sie dem Bundestagspräsidenten bisher nicht vorlegen. Möglicherweise findet somit erst die übernächste Bundestagswahl, im Jahr 2025, nach anderen Regeln statt.

Die technisch einfachste Lösung läge darin, weniger Wahlkreise zu bilden. Gäbe es zum Beispiel bundesweit nur noch 250, entstünde auch mit Überhang- und Ausgleichsmandaten nicht mehr ein Riesenparlament. Allerdings haben viele Abgeordnete aus ländlichen Gebieten schon heute beachtliche Wegstrecken zurückzulegen, wenn sie Termine wahrnehmen. Weil es so wenige Einwohner hat, entfallen beispielsweise auf Mecklenburg-Vorpommern nur sechs Wahlkreise. Der Bezirk Mecklenburgische Seenplatte II ist flächenmäßig größer als das Saarland, das auf vier Wahlkreise kommt.

Apropos Wahlkreise: Inzwischen dreht sich die Diskussion nicht nur darum, wie der Bundestag kleiner werden kann. Viele Politiker meinen zudem, dass er weiblicher werden muss, weil derzeit nur 219 der 709 Abgeordneten Frauen sind. „Das können wir mit einem großen Wurf erreichen – einer Reform des Wahlrechts, die beide Probleme gleichzeitig löst“, hat Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann (SPD) nun gegenüber der „Welt“ gesagt. Oppermann schlägt vor, dass es künftig nur 120 Wahlkreise gibt. Dort sollen die Bürger dann aber zwei Parlamentarier wählen – und zwar einen Mann und eine Frau. Trotzdem bleibe, so Oppermann, ein Puffer, um Überhangmandate so auszugleichen, dass die Zahl der Parlamentarier sinke. Um eine Parität zu erreichen, müsste der Bundestag aber allen Parteien vorschreiben, was SPD, Grüne und Linke schon tun: die Kandidatenlisten abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen.