Besucher bei einem Konzert von Cro in Hamburg Foto: dpa

Die schnelle und kostenlose Verfügbarkeit digitaler Bilder verändert den Beruf des Fotografen radikal, und mehr und mehr verschwinden die Grenzen zwischen Hobby und Beruf.

Stuttgart - Zum üblichen Anblick einer wichtigen Pressekonferenz gehört eine Meute von Fotografen mit Kameras im Anschlag. Das ist demnächst wahrscheinlich passé. „Wenn ich mich bei einem solchen Termin heute umschaue“, berichtet der Stuttgarter Bildjournalist Joachim Röttgers, „dann stehen kaum noch Kollegen neben mir, sondern Mitarbeiter des Veranstalters, die mit dem Handy draufhalten. Reicht ja.“

Was Röttgers mit sarkastischem Unterton schildert, ist ein Epochenbruch im Beruf des Fotografen. Den gibt es seit gut hundert Jahren, aber noch nie war der Wandel so rasant. Die Digitalisierung ist der Zündstoff einer Explosion. Deren Druckwellen fegen Vieles hinweg, was lange unumstößlich schien. Der „Gelbe Riese“ Kodak, einst wertvollstes Unternehmen der Welt, war 2012, ein paar Jahre nach dem besten Ergebnis seiner Historie, ein insolventes Nichts.

Bis vor ein paar Jahren gab es noch Fotobereiche, in denen nur Profis gute Resultate lieferten: Stürzende Linien bei Architektur-Aufnahmen konnten nur mit riesigen Fachkameras ausgeglichen werden, schnelle Verfügbarkeit fertiger Bilder konnten nur Fachlabore bieten, in Studios tüftelten erfahrene Spezialisten stundenlang an der richtigen Lichtführung herum. Heute verdingen sich ehemalige Fotografen bei den Produzenten digitaler Bilder. Dort richten sie virtuelle Lichtquellen so ein, dass das Endergebnis nicht aussieht wie im Rechner konstruiert, sondern wie fotografierte Realität.

Smartphones liefern oft bessere Fotos als analoge Profikameras

Das ist Spezialistenarbeit im High-End-Sektor. Für buchstäblich jedermann greifbar sind Smartphones, die technisch bessere Fotos liefern als viele Profikameras der analogen Epoche. Was liegt da näher als der beliebte Irrtum, das fähige Instrument allein werde es schon richten?

In diesem Prozess geht es der Lichtbildnerei nicht anders als der Musik-, Ton- und Filmproduktion – oder auch, bereits vor Jahrzehnten, den Schriftsetzern: Was den Profis ein Graus ist, eröffnet Amateuren ungeahnte Möglichkeiten. Damit verschwinden auch die Grenzen von Beruf und Hobby. Die Szene künstlerisch ambitionierter Autodidakten wächst, Kunstmessen betreiben eigene Plattformen für selbstverlegte Fotobücher. Für engagierte Amateure ist die Demokratisierung des Mediums wunderbar, aber die Entwicklung hat Schattenseiten: Wenn so genannte Bürger-Reporter anstelle professioneller Bildjournalisten Inhalte für Print- und andere Medien liefern, sind zufällige Augenzeugen schon fast die Content-Manager unserer Weltbilder.

Doch es muss nicht einmal zur direkten Konkurrenz von Laien und Profis kommen, um deren berufliche Praxis radikal zu verändern. Allein die kostenlose uns sofortige Verfügbarkeit digitaler Bilder reicht.

Der Wert von Fotos geht gegen Null

„FreeLens“, der größte deutsche Verband von Bildjournalisten, forderte schon vor einigen Jahren einen Offenen Brief, die Arbeit von Profis nicht zu verschenken. Heute sind bei fast keiner Zeitung mehr Fotografen fest angestellt, und selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist der Wert von Fotos manchmal gleich Null: Für die Online-Versionen gesendeter Beiträge sollen die Autoren Bilder oder Videos doch bitte honorarfrei dazu liefern.

„Wer nicht weltweite, unbeschränkte Nutzungsrechte an seinen Aufnahmen einräumt, ist praktisch schon raus“, berichtet die Stuttgarter Industriefotografin Susanne Wegner. Sogar die logistisch aufwändige Modefotografie ist längst in den Sog digitaler Instant-Mentalität geraten. Vor zwei Jahren kappte der Otto-Versand, größter deutscher Auftraggeber für Modefotografie, die Honorare pauschal um etwa die Hälfte. Gleichzeitig steigt die Schlagzahl. In analogen Zeiten brachte es ein Modefotograf auf etwa zehn Motive am Tag, heute werden um die 30 erwartet; große Billig-Studios liefern bis zu 120 Modeaufnahmen am Tag.

„Kürzlich hatte ich ein Shooting bei 42 Grad im Schatten, das Model kam nach 24 Stunden Flug direkt aus dem Flieger“, berichtet der Hamburger Modefotograf Torsten Ruppert, „und nach der zehnten Einstellung mit jeweils Umziehen, Schminken, Frisieren fragte der Kunde, warum die Frau so matt aussähe.“

Umsätze, Preise, Mitgliederzahlen im Berufsverband: alles rückläufig

Angezählt taumelt auch das gute alte Fotografenhandwerk dahin. Die obligatorische Meisterprüfung vor der Selbstständigkeit hat der Centralverband deutscher Berufsfotografen schon vor zwölf Jahren abgeschafft, und der Geschäftsführer Hans Starosta resigniert: „Gejammert wurde immer, aber das hier ist anders. Umsätze, Preise, Mitgliederzahlen – alles rückläufig.“

Eine kuriose Ausnahme von der Krisenregel ist die Hochzeitsfotografie. Die boomt geradezu, weil immer mehr Brautleute immer größere Feste feiern – und diese natürlich auch standesgemäß dokumentiert haben wollen. Zahlreiche Semi-Profis drängen sich darum, vom erhofft schönsten Tag im Leben Bilder anzufertigen, die vor allem eines sein sollen: bigger than life. Dank digitaler Tools ist das eine leichte Übung. Für ein paar hundert Euro sind stylische Effekt-Pakete zu haben, die jede Einstellung aussehen lassen wie eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung. Paradoxerweise könnten solche vorgefertigten Schablonen dazu führen, dass der einmalige Moment am Ende in einem austauschbaren Look daherkommt.

Das wäre dann eine unfreiwillige Lektion in medienkritischer Bildanalyse, einem Sektor der Fotografie, der bislang vor allem akademischer Ausbildung und künstlerischer Praxis vorbehalten ist. Unter allen professionellen Fotografen haben die Künstler noch am wenigsten Grund, sich vor der digitaler Inflation des Mediums zu fürchten: Sie können in aller Regel ohnehin nicht von ihrer Arbeit leben.