Es gibt nichts, was nicht gefälscht wird. Das Bild zeigt Plagiate von Hundeleinen. Foto: dpa

Das Geschäft mit dreisten Kopien boomt. Sie sind vom Original meist nicht zu unterscheiden und sorgen allein bei deutschen Unternehmen für Milliardenschäden. Ein Schmähpreis prangert alljährlich den dreisten Ideenklau an.

Stuttgart - Schuhe, Parfüm, Kleidung, Schmuck, Hundeleinen, Bürostühle, Autofelgen, Maschinenteile, Halbleiter – es gibt praktisch keine Branche und keine Produkte, die vor Fälschungen sicher sind. Und die Maschinerie der Produktpiraten läuft auf Hochtouren, denn der Onlinehandel spielt ihnen in die Hände. „Kamen früher die Fälschungen in Großcontainern über die Häfen ins Land, werden heute viele als Einzelpakete direkt zum Verbraucher geschickt. Für den Zoll stellt das eine riesige Erschwernis dar, weil die vielen Kleinsendungen nicht kontrolliert werden können“, sagt Volker Bartels, Vorsitzender des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM). In dem Bündnis haben sich Unternehmen zusammengetan, um die internationale Fälschermafia zu bekämpfen. Da die Absender oft im Ausland sitzen und anonym bleiben, erschwert das auch die Rechtsdurchsetzung.

Weltweit boomt das Geschäft mit Plagiaten. Die deutschen Zollbehörden haben 2016 insgesamt 3,6 Millionen Fälschungen im Wert von rund 180 Millionen Euro beschlagnahmt – vom Wert her deutlich mehr als im Jahr zuvor mit 130 Millionen Euro. Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor. Auch EU-weit war ein Anstieg zu verzeichnen. Laut EU-Kommission stieg die Zahl der beschlagnahmten Produktfälschungen 2016 gegenüber dem Vorjahr um knapp zwei Prozent auf 41,7 Millionen Artikel, der Marktwert der Fälschungen sogar um 4,6 Prozent auf 672 Millionen Euro.

Fake-Shops im Internet

Auch werden die Fälscher immer dreister. Längst werden nicht mehr nur Produkte gefälscht, sondern ganze Internetseiten und Online-Shops im nachgemachten Markendesign. In einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums zählten die Wissenschaftler allein in Deutschland über 6000 Onlineshops, die mutmaßlich mit gefälschten Markenprodukten handelten. „Gefälscht wird alles, was erfolgreich ist“, sagt Bartels. „Es liegt auch eine große Verantwortung beim Kunden“, sagt er. Verbrauchern rät er, „immer kritisch hinschauen“ und genauer darauf achten, wo sie bestellten und sich nicht von Onlinewerbung und günstigen Preisen oder der professionellen Aufmachung der Shops blenden zu lassen. Das Registrieren von entsprechenden Domains mit falschen Angaben sei leider sehr einfach, sagt Bartels. Verschwindet einer, ist schon wieder der nächste aktiv.

Fälschungen sind oft vom Original kaum zu unterscheiden – schon gar nicht im Netz, wo teils sogar das Originalprodukt gezeigt, dann aber das Plagiat versendet wird. Selbst Plattformen wie Amazon, Ebay oder Alibaba, die als seriös gelten, sind vor Fälschungen nicht gefeit. Schuhhersteller Birkenstock etwa will seine Produkte nicht mehr bei Amazon verkaufen, weil auf der Plattform auch Produktkopien angeboten wurden. Anders als im stationären Handel haben Markenhersteller auf solchen Plattformen keine Kontrolle darüber, wer ihre Waren anbietet, weil auch Drittanbieter, die in keiner direkten Beziehung zum Hersteller stehen, dessen Markenprodukte verkaufen dürfen. Bartels sieht auch die Betreiber der Onlineplattformen in der Pflicht. Schließlich hätten diese eine Mitverantwortung, letztendlich verdienten sie ja an den angebotenen Waren – egal ob Fälschung oder Original. Sie müssten dafür sorgen, dass Originalprodukte angeboten würden und müssten selbst aktiv werden. Doch da gibt es noch enormes Verbesserungspotenzial.

Milliardenschäden durch Produktpiraten

Das Nachsehen haben Unternehmen und Kunden. Bei den Originalherstellern schmälern Produktfälschungen nicht nur Umsatz und Gewinn und kosten möglicherweise sogar Jobs. Auch das Image leidet durch die Plagiate, weil die Kunden oft mit den schlechten Kopien unzufrieden sind, die sie aber für das Original halten. Hinzu kommt, dass Verbraucher für ein Markenprodukt zahlen, aber nur eine billige Kopie bekommen. Schätzungen zufolge entstehen allein deutschen Unternehmen durch Fälschungen mehr als 56 Milliarden Euro Schaden im Jahr. Allein der Maschinenbau geht einer Umfrage des Branchenverbands VDMA von rund 7,3 Milliarden Euro jährlichem Schaden für Maschinenbauer aus.

„Die Nachahmer handeln skrupellos und aus Profitgier“, sagt Christine Lacroix von der Aktion Plagiarius. Der Verein vergibt jedes Jahr – seit mittlerweile mehr als 40 Jahren – einen Schmähpreis für Produktfälschungen, um auf die kriminellen und unfairen Praktiken der Plagiateure aufmerksam zu machen. Dieses Jahr wird er am 9. Februar auf der Frankfurter Frühjahrsmesse Ambiente verliehen. Was einst als laienhafte Kopierversuche in Hinterhof-Werkstätten begonnen habe, habe sich in Zeiten von Internet und Globalisierung zu einer weltweit vernetzten und professionell agierenden Fälschungsindustrie entwickelt.

Besonders dreist und kriminell finden es Experten wie Lacroix und Bartels, wenn gefälschte Produkte in Umlauf gebracht werden, bei denen es um Sicherheit und Gesundheit geht – etwa bei gefälschten Medikamenten, die ganz andere oder gar keine Wirkstoffe enthielten, oder bei plagiierten Maschinenteilen und Elektrowerkzeugen, überhaupt alle sicherheitsrelevante Bauteile wie etwa Airbags oder Motorsägen. Selbst Europaletten würden gefälscht, sagt Bartels. Auch das sei nicht ungefährlich, weil sie nicht die Tragkraft des Originals hätten. Vorgeschriebene Prüfzeichen würden oft gleich mitgefälscht. Lacroix nennt weitere Fälschungsbeispiele wie etwa ein defektes Notfall-Beatmungsgerät. Größtenteils verwendeten Fälscher minderwertige Materialien, verzichteten auf Qualitäts- und Sicherheitskontrollen, produzierten auch oft unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Was Unternehmen tun können

Hochburg der Produktpiraterie ist nach wie vor China. Rund 70 Prozent der vom deutschen Zoll beschlagnahmten Waren kommen laut Bartels aus dem Reich der Mitte. Mittlerweile lasse die Zollstatistik auch eine gewisse Spezialisierung der einzelnen Länder zu erkennen. Accessoires wie Sonnenbrillen und Uhren kämen meist aus China, Kleidung des Öfteren aus der Türkei, gefälschte Medikamente aus Indien, alkoholische Getränke aus Mexiko, Elektronikprodukte aus Hongkong. Durch das Internet funktioniere der grenzüberschreitende Handel gut.

Und wie können sich Unternehmen am besten schützen? „Sie müssen aktiv werden und das fängt mit den Schutzrechten an“, sagt Bartels. Man sollte seine Produkte und Ideen durch Schutzrechte schützen, denn nur dann könne man gegen Nachahmungen vorgehen – auf Antrag könnten dann Fälschungen an der Grenze beschlagnahmt werden, sagt er. Die Firmen selbst oder beauftragte Agenturen sollten auch Internethandelsplattformen beobachten, ob es Angebote gebe, die der eigenen Marke ähnelten und dann durch einstweilige Verfügungen dagegen vorgehen. Den Kopf in den Sand zu stecken, wäre der falsche Weg.

Der Negativpreis Plagiarius