Foto: Rogge

Ab 2014 soll in Tuscaloosa (Alabama) auch erstmals die C-Klasse von Mercedes vom Band rollen. Dadurch kann der Daimler-Konzern Hunderte Millionen Dollar sparen.

Tuscaloosa - Ab 2014 soll in Tuscaloosa im Westen des US-Staats Alabama auch erstmals die C-Klasse von Mercedes vom Band rollen. Dadurch kann der Daimler-Konzern Hunderte Millionen Dollar sparen.

Die große Bescherung hat Walter Maddox schon vor dem Weihnachtsfest gefeiert. Das Football-Team der heimischen Alabama-Uni hat die Favoriten aus dem Nachbarstaat Florida beim Heimspiel im Bryant-Denny-Stadion in Grund und Boden gespielt und ist nun nur noch ein einziges Match von der US-Meisterschaft entfernt. Und, weit wichtiger noch, eine Entscheidung im fernen Germany hat Tuscaloosas Bürgermeister erleichtert aufatmen lassen. Morgens um sechs Uhr war die Nacht für Maddox zu Ende, als Alabamas Gouverneur ihm die erlösende Nachricht samt Glückwünschen telefonisch übermittelte.

"Wir haben den Champion-Spirit", preist Maddox seine mittelgroße Stadt mit den riesengroßen Ambitionen. Voller Stolz präsentierte die Lokalzeitung ihren Lesern einen rassigen Baby-Benz am nächsten Tag auf der Titelseite, verbunden mit einem dicken Lob für die Mercedes-Bosse in Stuttgart gleich in der Schlagzeile. Dass in Sindelfingen derweil die Stimmung hochkochte - bis Alabama am Golf von Mexiko hatte sich das nicht herumgesprochen.

Gut für Tuscaloosa, schlecht für Sindelfingen - Ester Scheef ist durchaus anzumerken, dass beim Thema C-Klasse noch zwei Herzen in ihrer Brust schlagen. "Gut für uns, aber schwierig für die Leute dort." Sindelfingen war die alte, Tuscaloosa ist seit elf Jahren die neue Heimat der 51-jährigen Schwäbin, die in dem Städtchen am Schwarzen-Krieger-Fluss das Café Edelweiss betreibt, während ihr Mann in dem schneeweißen Mercedes-Werk im benachbarten Vance darüber wacht, dass die Bänder laufen.

Zurzeit geschieht das allerdings mit gedrosseltem Tempo. Das gerade zwölf Jahre alte Werk, das Mercedes mitten in die Pampa setzte und im Jahr 2000 sogar noch einmal für weitere 600 Millionen Dollar kräftig ausbaute, ist längst nicht mehr ausgelastet. Statt 160.000 Autos im Jahr verlassen zurzeit weniger als 100.000 der großen Boliden mit den Typenziffern M, GL und R die Werkshallen. Gearbeitet wird nur vier Tage in der Woche. Und die einst 4000 Mitarbeiter starke Belegschaft ist inzwischen auf knapp 3000 Beschäftigte gesunken.

Im nächsten Jahr wird die Zahl noch weiter sinken, ehe es 2014 mit der C-Klasse wieder aufwärtsgehen soll. Die Zeit bis dahin ist noch eine Durststrecke. So wenig ist auf dem Gelände inzwischen los, dass die Empfangsdame im schicken Werkmuseum mit den aktuellen und historischen Modellen, darunter eine umgebaute M-Klasse aus Spielbergs Saurierepos "Verlorene Welt", erst nach dem Schlüssel suchen muss, um den einzigen Besucher an diesem Vormittag einzulassen. Gespenstisch leer sind die Besucherparkplätze am Ende des Mercedes Drive. "Ich hasse es, mir auszumalen, was geschehen wäre, wenn die Entscheidung nicht gefallen wäre", sagt Management-Professor James Cashman von der University of Alabama, nach Mercedes Tuscaloosas wichtigster Arbeitgeber.

Amerika ist die Lust auf edle Offroader made in Germany im Zuge der Krise ein Stück weit vergangen. Der Dollar sitzt längst nicht mehr so locker wie früher, seit die Angst um den Job regiert, die Benzinpreise steigen und der Verbrauch auch hierzulande eine Rolle zu spielen beginnt. Der Boom der Geländewagen sei vorbei, ist Cashman längst überzeugt.

In Tuscaloosa mit seinen knapp 100.000 Einwohnern, die im Schnitt mehr verdienen als die meisten anderen im noch immer armen Alabama, ohne deshalb reich zu sein, haben diese edlen und wuchtigen Fahrzeuge freilich nie eine das Straßenbild prägende Rolle gespielt. Alabama ist und bleibt Pick-up-Land. Die dicken Brummer mit den offenen Ladeflächen von Ford und GM dominieren die Straßen Tuscaloosas. Auf Lees Autohof an der Greensboro Road finden sich unter den Hunderten von SUV-Dinosauriern, die im wilden Durcheinander geparkt sind und alle schon länger zum Verkauf stehen, nur zwei Modelle mit dem Stern. Eins ist sogar so gut versteckt, dass Autohändler Lee die Existenz des Autos schon fast vergessen hatte. "Gute Autos", lobt der Mann, "aber zu teuer. Und nach 150.000 Meilen sind die auch hinüber."

Das bestreitet der Händler der lokalen Mercedes-Niederlassung selbstverständlich. Viel ist in seinem Showroom am Skyland Boulevard freilich auch nicht los. Aber tapfer versichert uns Dave, dass seine Filiale noch immer doppelt so viele Autos verkauft wie die Konkurrenz von BMW, die im Nachbarstaat Georgia ihre edlen Geländewagen der X-Reihe produziert.

Wenn M, GL und R lahmen, muss C ran. Der Baby-Benz ist die erfolgreichste Marke der Stuttgarter Autoschmiede in den USA. Zwischen 50.000 und 60.000 Modelle dieses Typs, die bislang noch überwiegend in Südafrika und nur zu geringen Teilen in Sindelfingen produziert werden, setzt Mercedes nach Angaben einer Sprecherin pro Jahr in den USA ab. Vor Ort zu produzieren, wo die Kunden sind, hält auch Management-Professor Cashman für eine sinnvolle Entscheidung, zumal der Dollar wohl noch auf längere Sicht im Keller bleibt. Hunderte von Millionen Dollar kann Daimler mit der Produktionsverlagerung sparen, zumal auch die Löhne deutlich niedriger liegen. Eine Arbeitsstunde kostet in Tuscaloosa umgerechnet 30 Euro, während an den deutschen Standorten 45 bis 50 Euro aufgebracht werden müssen. Die USA - ein Billiglohnland aus deutscher Sicht.

Dass Alabama Mercedes die Verlagerung mit Blick auf erhoffte gut 1000 neue Jobs auch noch finanziell versüßt, mag die Entscheidungsfindung in Stuttgart gewiss zusätzlich erleichtert haben. Auf gut 100 Millionen Dollar - 100.000 Dollar pro neuem Arbeitsplatz - summieren sich die Zuschüsse und Steuererleichterungen, mit denen Alabama und Tuscaloosa in den entscheidenden letzten acht Wochen in den Verhandlungen mit der Stuttgarter Konzernspitze lockten. "Viel Geld, aber gut angelegt", ist Bürgermeister Maddox überzeugt.

Die Bürger sind laut Umfragen der "Tuscaloosa News" indes eher dagegen, gut verdienenden Konzernen noch Steuergelder hinterherzuwerfen. Im letzten Jahrzehnt ist Alabama neben Detroit praktisch aus dem Nichts zur zweiten Autoschmiede der USA geworden. Auf Pionier Mercedes folgten Honda und Hyundai mit eigenen Fabriken sowie zahlreiche Zulieferer.

40.000 Jobs hängen in dem alten Baumwollestaat inzwischen an der Autoindustrie. Die starke Abhängigkeit ist Maddox freilich nicht ganz geheuer. Längst sucht der dynamische Bürgermeister, der gerade wiedergewählt wurde, nach Alternativen, um auch Zukunftstechnologien in Alabamas Westen zu locken. "Bei der nächsten Rezession müssen wir besser gewappnet sein."