Forscher der Sozialmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover haben festgestellt, dass es seitens der Patienten an Bereitschaft mangelt, sich vor Arztgesprächen ausführlich zu informieren. Foto:  

Diagnosen dem Patienten zu erklären ist für Ärzte eine heikle Aufgabe. Kurse mit Schauspielern bereiten Mediziner darauf vor. Aber auch Patienten können etwas für ihr Gesundheitswissen tun – und sich vor dem Arztgespräch besser informieren.

Bielefeld - Die Diagnose traf Marc Naumann wie ein Fausthieb. „Wir haben bei Ihnen einen Hirntumor entdeckt“, sagte der Arzt nach Auswertung einer Magnetresonanztomografie (MRT). „Er muss innerhalb von drei Wochen operiert werden. Lassen Sie sich dafür einen Termin geben.“ Das war alles. Auch heute, mehr als sechs Jahre danach, kann Naumann kaum glauben, dass ihm der Mediziner diese Nachricht einfach an den Kopf warf. „Es hat gewirkt, als hätte er kein Interesse.“ Naumann, damals Jura-Student, blieb bestürzt zurück. „Ich dachte nur: Das kann doch nicht wahr sein!“ Statt einen Operationstermin zu vereinbaren, ließ er sich zu einem anderen Experten überweisen. Das Erlebnis Naumanns ist ein abschreckendes Beispiel für misslungene Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Der Fall ist extrem. Doch Judith Storf, die ehemals bei der Unabhängigen Patientenberatung in Bielefeld tätig war, hatte es öfter mit Patienten zu tun, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. „Es kommt immer wieder vor, dass Betroffene oder Angehörige berichten, ihnen sei eine schlimme Diagnose an den Kopf geworfen worden.“

„An den Kopf werfen“ – genau diese Redewendung sei es, die häufig falle. Oft fühlten sich die Patienten von der Diagnose so überrumpelt, dass sie nicht in der Lage seien, weitere Fragen zu stellen. Auch der Fachjargon erschwert die Verständigung zwischen Arzt und Patient. „Typisch ist, dass Patienten berichten: Ich weiß gar nicht, was der gesagt hat“, sagt Storf.

Patienten hilft es sehr, wenn Ärzte nachfragen

Das Überbringen schlechter Nachrichten ist für Ärzte eine heikle Aufgabe. „Man kann dies aber üben“, sagt der Internist und Medizinethiker Jan Schildmann von der Ruhr-Uni Bochum. Seit mehreren Jahren werden in Deutschland daher Seminare angeboten, in denen sich Medizinstudenten und Ärzte auf solche Situationen vorbereiten können.

In den Kursen sind oft Rollenspiele vorgesehen, bei denen Mediziner bestimmte Gesprächsstrategien üben. Den Part der Patienten übernehmen in der Regel Schauspieler. Ärzte müssen ihrem Gegenüber dann etwa eine Krebsdiagnose überbringen oder darüber aufklären, dass sein Kind schwer erkrankt ist. Durch das Feedback der Gesprächspartner sowie der anderen Teilnehmer lernen die Mediziner, wie ihr Auftreten ankommt: „Dabei berichten die Gesprächspartner oft, dass sie Gesprächspausen seitens der Ärzte als positiv empfinden. Patienten hilft es sehr, wenn Ärzte nachfragen, was sie bewegt, anstatt die ganze Zeit selbst zu reden“, sagt Schildmann, der selbst solche Kurse leitet.

Die Gespräche sind auch deshalb schwierig, weil jeder Patient andere Erwartungen und Bedürfnisse hat. So ist es ganz unterschiedlich, wie detailliert Menschen aufgeklärt werden wollen. „Aus Umfragen wissen wir, dass neun von zehn Patienten wissen wollen, wie es um sie steht“, sagt Schildmann. „Aber nur gut die Hälfte möchte bei der Entscheidungsfindung mitwirken, wenn es um weitere Therapien geht.“

Der Patient hat auch ein Recht auf Nichtwissen

Um Patienten nicht mit Dingen zu konfrontieren, die sie gar nicht wissen möchten, empfiehlt der Medizinethiker, sich durch entsprechende Fragen abzusichern. So handhabt es auch der Palliativmediziner Christoph Ostgathe vom Uniklinikum Erlangen. „Der Patient hat auch ein Recht auf Nichtwissen“, betont er.

Schwierig ist für Ärzte auch der Umgang mit unheilbar kranken Patienten. Natürlich ist es auch wichtig, dass Ärzte ehrlich sind: „Man sollte Patienten nicht die Hoffnung nehmen, wenn Genesung ausgeschlossen ist, sie aber in eine andere Richtung lenken“, sagt Ostgathe. Zum Beispiel könne man Schmerzfreiheit oder schöne Stunden mit der Familie in Aussicht stellen. Hoffnung sei auch therapeutisch wichtig, weil sie dazu beitragen könne, Schmerzen zu lindern.

Vielen mangelt es an der Bereitschaft, sich vor dem Arztbesuch zu informieren

Andererseits sollten die Patienten auch nicht jede Pille fraglos schlucken, die zuvor verschrieben wurde. Forscher der Sozialmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover haben festgestellt, dass es seitens der Patienten an Bereitschaft mangelt, sich vor Arztgesprächen ausführlich zu informieren. Dazu gehört auch das Vermögen, in wenigen Sätzen zu schildern, wo die gesundheitlichen Beschwerden liegen. Auch der zu große Respekt gegenüber dem Arzt führt dazu, dass Patienten ihre Rechte beim Arzt nicht so wahrnehmen, wie sie es sollten. Um Rechte wie diese durchzusetzen, können Checklisten helfen, wie sie die Patientenuni Hannover entwickelt hat: So kann sich jeder vor dem Praxisbesuch die Fragen zurechtzulegen, die er dem Arzt stellen möchte. Auch sollte man dessen Antworten notieren.

Marc Naumann hat sich ebenfalls mit der Ärzteschaft wieder versöhnt: Der Hirntumor war gut behandelbar. Daraufhin gründete er die gemeinnützige Organisation Segelrebellen. Sie bietet krebskranken jungen Menschen Segelreisen an.

Checklisten für Patienten:

Tipps, Infos und Checklisten für Gespräche mit Ärzten und Apothekern gibt es bei der Medizinischen Hochschule Hannover, www.patienten-universitaet.de

So vermeiden Patienten Missverständnisse beim Arzt

Vor dem Arztbesuch:

Schreiben Sie Ihre wichtigsten Fragen auf. Nehmen Sie die Medikamente mit, die Sie zurzeit nehmen – auch die rezeptfreien.Notieren Sie die Form Ihrer Beschwerden und wann diese angefangen haben.Nehmen Sie gegebenenfalls eine Vertrauensperson zu dem Gespräch mit.

Während des Gesprächs mit dem Arzt

Arbeiten Sie Ihren Fragezettel ab.

Scheuen Sie sich nicht nachzufragen.Schreiben Sie die Antworten mit.Versuchen Sie, mit eigenen Worten zusammenzufassen, was Sie verstanden haben, um Missverständnisse zu vermeiden.Bitten Sie um Adressen oder Infomaterial, wenn Sie etwas in Ruhe nachlesen wollen.Bitten Sie gegebenenfalls um die Befunde, beispielsweise die Laborberichte.

Am Ende des Gesprächs:

Sind alle Fragen der Checkliste beantwortet?Wissen Sie genau, was getan werden soll?Wissen Sie, was Sie tun können oder sollen?Kennen Sie alle Vor- und Nachteile einer vorgeschlagenen Diagnostik oder Therapie?Wenn nicht, scheuen Sie sich nicht, erneut zu fragen oder um einen weiteren Termin zur Klärung der offenen Fragen zu bitten.