Mit dem Sieg in Freiburg hat der VfB den Abstand auf die internationalen Plätze weiter verkürzt. Foto: Baumann

Die Stuttgarter rollen die Bundesligatabelle von hinten auf, sind bereits Achter. Die Redakteure Heiko Hinrichsen (Pro) und Carlos Ubina (Contra) haben sich Gedanken gemacht, ob das Erreichen der Europa League dem VfB gut tun würde.

Stuttgart - Die Stuttgarter rollen durch ihren jüngsten Erfolgslauf unter Trainer Tayfun Korkut mit 17 von 21 möglichen Punkten die Bundesligatabelle von hinten auf. Der Aufsteiger ist bereits Achter, hat nur noch zwei Zähler Rückstand auf Platz sieben, der ziemlich sicher zur Teilnahme an der Europa League berechtigen würde. Aber würde der Europapokaleinzug und die daraus folgende Doppelbelastung dem Club guttun? Eine Frage – zwei Meinungen.

Pro Europa League

Einen Weltmeister (Ron-Robert Zieler), zwei Champions-League-Sieger (Mario Gomez, Holger Badstuber), einen mehrfachen deutschen Meister (Christian Gentner), einen deutschen und türkischen Meister (Andreas Beck) sowie mehrere gestandene Profis und Nationalspieler (Emiliano Insua, Chadrac Akolo, Marcin Kaminski, Dennis Aogo) – sie alle hat der VfB schon jetzt zu bieten. Der Erstliga-Aufsteiger aus Stuttgart stellt also keineswegs ein Kollektiv aus unerfahrenen Grünschnäbeln, das der Europa League nicht gewachsen wäre. Im Gegenteil: Mit einem Tänzchen auf internationalem Parkett würden die Stuttgarter ein weiteres Signal des Aufbruchs senden. Empfänger wären hier einerseits die eigenen Jungstars mit Champions-League-Potenzial wie etwa Benjamin Pavard oder Santiago Ascacibar, denen man auch eine Perspektive auf internationalem Terrain aufzeigen könnte.

Aber auch in Verhandlungen mit neuen Spielern, ehrgeizigen Jungprofis mit Entwicklungspotenzial sowie im Gespräch mit potenziellen Investoren hielte die VfB-Clubführung mit Europa im Rücken einen zusätzlichen Trumpf in der Hand. Denn der Beweis wäre erbracht: Am Fußballstandort Stuttgart, dessen Europapokaltradition mit 27 internationalen Starts in 55 Jahren Bundesliga lang ist, geht nach den Krisenjahren in der gefühlten Endlosschleife wieder was.

Spätestens von 2022 an hat der ehrgeizige Präsident Wolfgang Dietrich für den VfB einen Stammplatz im oberen Drittel der Bundesliga eingefordert. Zu Recht übrigens, wenn man das sportliche Know-how im Verein, den aktuellen Kader, das wirtschaftliche Umfeld, die Infrastruktur und die Clubhistorie als Grundlage nimmt.

Auf dem schweren Weg nach oben sollte in und um den VfB also niemand den nächsten Entwicklungsschritt scheuen – er kommt für den Club und seine Spieler erfreulich früh. Denn es lassen sich neben sportlichen Erfahrungen, neben frischer Reputation im In- und Ausland auch in der Europa League, wo die Uefa die Prämien künftig deutlich aufstockt, für guten Fußball sehr gute Millionen verdienen.

Schon jetzt ist man auf dem Wasen ja breiter aufgestellt als etwa einst der 1. FC Köln, der sich erst mit dem alles überragenden Torjäger Anthony Modeste für Europa qualifizierte, diesen aber umgehend nach China verkaufte. Beim VfB kann man derweil personell weiter nachlegen. Und so ist die Europa League eine unverhoffte Chance auf dem Weg zurück in die nationale Spitze.

Contra Europa League

Machen wir uns nichts vor: Der VfB hat in den vergangenen Wochen vieles überraschend gut gemacht, die Stuttgarter hatten dazu ein wenig Glück, und nun stehen sie in einer schwachen Bundesliga auf einem Rang, der es sogar erlaubt, verstohlen nach oben zu schauen. Doch ein Europacup-Anwärter ist die Mannschaft von Tayfun Korkut nicht. Sie ist bestenfalls ein Aufsteiger, der gerade dem Abstiegskampf entronnen ist und in dessen Umfeld die ersten Europa-League-Träume blühen.

Das ist schön für die Fans, und die Spieler sollen den Moment genießen. Es sind schließlich ihre Leistungen gewesen, die den VfB in ein ruhiges Fahrwasser gebracht haben. Die Führungskräfte im Team wie Christian Gentner, Mario Gomez und Ron-Robert Zieler wissen die Lage jedoch sehr genau einzuschätzen: Erst soll das rettende Ufer endgültig erreicht werden. Danach geht es darum, weiter möglichst erfolgreich zu sein. Mit einem Fußball, der auf einfachen Grundsätzen basiert: eine geordnete und starke Defensive plus eine effektive und wuchtige Offensive – dazwischen findet kaum ein Stuttgarter Spiel statt.

Für den Kampf um den Klassenverbleib ist das genug, für internationale Ansprüche aber zu wenig. Was nicht bedeuten soll, dass der VfB die Chance, die sich ihm in den verbleibenden sieben Partien möglicherweise bietet, verstreichen lassen soll. Die Frage ist nur, wie der Club mit der veränderten Situation umgeht: Bleibt er realistisch und blickt nach unten auf den Relegationsplatz 16 – oder schielt er nach oben und setzt sich ein neues Ziel.

Das eine ermöglicht dem VfB zu wachsen, vielleicht sogar schneller, als er es in seinen Plänen festgehalten hat. Das andere birgt die Gefahr einer Enttäuschung, da die Stuttgarter plötzlich mit Teams konkurrieren würden, die teurer und besser besetzt sind. Doch das wäre nur ein Randaspekt. Wichtiger erscheint es, wie der VfB seinen aktuellen Erfolg in eine nachhaltige Entwicklung überführen will (woran zuletzt der 1. FC Köln gescheitert ist).

Der Sportchef Michael Reschke hat dazu klare Vorstellungen – mit einem Trainer Tayfun Korkut, der auch fußballerische Fortschritte erzielt, und mit einem Kader, der weiter umgestaltet wird. International erfahrene Profis sind bereits einige dabei. Ebenso verfügt der VfB über eine Reihe von aufstrebenden Talenten. Nun muss die Mischung verfeinert werden, damit der VfB nicht zufällig auf die Bühne der Besten kommt, sondern tatsächlich wieder eine gewisse Serienreife für seine Europa-Touren erlangt.

VfB Stuttgart - Bundesliga

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