Unter anderem diese aufreizende Darstellung einer orientalischen Frau ist Gegenstand der Beanstandungen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Nach Vorwürfen, auf dem Frühlingsfest würden sexistische diskriminierende Bilder gezeigt, steht nun zur Diskussion, ob die Schausteller neue Kulissen malen lassen müssen. Wir stellen Argumente dafür und dagegen vor.

Die Darstellungen auf dem Frühlingsfest haben Diskussionen ausgelöst. Ist dies nur der Fall, weil Stadträte einen Sturm im Wasserglas entfacht haben? Oder sind die beanstandeten derben Darstellungen tatsächlich ein großes Ärgernis, zumindest für Frauen?

Pro: Die Debatte ist politisches Handwerk

Sex sells, ohne Frage. Doch so alt wie diese Weisheit ist auch der Umstand, dass Frauen in jeder Hinsicht dafür bezahlen. Jede sexualisierte Darstellung nimmt ihnen ein Stück ihrer Würde, diskriminiert sie, macht sie klein und stellt sie als verfügbares Püppchen oder dumm-geile Vamps dar. Und das soll eine politische Lappalie sein?

Der Versuch, das Thema kleinzureden, ist durchsichtig: Das Thema ist lästig. Dabei ist es absolut begrüßenswert, die derb-dummdreisten Darstellungen auf dem Frühlingsfest zu beanstanden: Bereits 2020 hat der Wirtschaftsausschuss beschlossen, dass die Schausteller auf diskriminierende Werbung und diskriminierende Gestaltungsmerkmale ihrer Fahrgeschäfte verzichten müssen. Außerdem sollten die Schaustellerverbände für das Thema sensibilisiert werden. Jetzt zu fragen, ob es bei dem Beschluss etwa einen Unterschied zwischen Volksfest und Frühlingsfest geben soll, ist bestes kommunalpolitisches Handwerk der Stadträtinnen und Stadträte.

Man muss das Thema nicht höher hängen, als ihm gebührt. Kulissen von Fahrgeschäften gehören nicht zum großen Schatz der Kunstgeschichte, sie haben auch über die Jahrzehnte hinweg einen Weinstein nicht erst möglich gemacht. Aber ärgern darf man sich schon, dass sie heute noch verwendet werden und nicht nur den alten Muff der 1960er und 1970er Jahre ausdünsten, sondern auch die klebrige, verdruckste Erotik dieser Jahre.

Und man muss sich wundern über die Duldsamkeit vieler Männer, die als speckige, sabbernde Kerle mit voyeuristischem Silberblick verunglimpft werden. Warum wehrt sich da keiner? Neue Kulissenmalereien wären eine ästhetische Bereicherung für alle.

Barbara Czimmer

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Contra: Die Debatte ist ein Sturm im Wasserglas

Sex sells, das gilt auch in der Politik. Jetzt sind die depperten vulgären Bildchen auf dem Wasen endlich allen vor Augen, die politischen Lager sind in Stellung und bringen ihre Botschaften dazu freigiebig unters empörungsbereite Volk. So weit, so gewöhnlich.

Nur: Worum geht es hier eigentlich? Bedenkt man, dass nach Studien mehr als ein Viertel des Video-Traffics im Netz sich um Pornografie dreht, kann man nur sagen: Die Generation Porno hat für derlei altbackene, geradezu neuromantische Sexfolklore, die an die Lederhosenfilme aus den 1970er-Jahren erinnert, nur ein müdes Lächen übrig. Solche Darstellungen liegen inzwischen unter der Wahrnehmungsschwelle.

Aber natürlich geht es hier – sorry, sorry – gar nicht um Sex (selbst die strengsten Sittenwächter regen sich über so was nicht mehr auf), sondern um viel Schwerwiegenderes: um Gender und um Diskriminierung. In diesem Fall und nach heutigen Rollenmodellen, das dürfte noch konsensfähig sein, werden beide Geschlechter diskriminiert.

Aber müssen die Kulissen deshalb vom Frühlingsfest verschwinden? Ein klares Ja kommt von der Fraktion der identitätspolitischen Diskriminierungsfahnder. In ihrem Anspruch auf Allzuständigkeit fühlen sie sich auch dafür verantwortlich. Ob diese seit geraumer Zeit feststellbare Radikalisierung des Gedankens, alles sei heute eben Politik, dieser insgesamt guttut, ist die Frage.

Ernster wird sie so nicht genommen. Zerwürfnisse haben wir in der Gesellschaft mehr als genug. Diese zu vertiefen, wo es um wenig bis nichts geht, ist nicht klug. Wer die Leute mit Belanglosigkeiten in die Gräben treibt, bekommt sie, wenn Wesentliches verhandelt wird, dort nicht mehr heraus. Mathias Bury