Es ist angerichtet: die Karussells stehen, das Volksfest kann beginnen. Foto: /Lichtgut/Leif Piechowski

Nach der Coronapause kommt das Cannstatter Volksfest zurück. Ein Pro und Contra unserer Redakteure.

Das Cannstatter Volksfest hat coronabedingt drei Jahre pausiert. Am Freitag startet der Rummel wieder. „Endlich“ denken sich die einen, während die anderen „nicht schon wieder“ stöhnen. Unsere Redakteure Nadia Köhler und Frank Rothfuß haben unterschiedliche Ansichten zum Volksfest.

Leben und erleben lassen

Frank Rothfuß meint: Es ist wirklich sehr einfach: Wer aufs Volksfest gehen möchte, geht hin. Wer nicht gehen möchte, bleibt zu Hause. So wie man es mit der Oper, dem Ballett, dem Fußballspiel, dem Theater, der Sporthalle, dem Fitnessstudio, dem Club oder der Party hält.

Interessant ist ja, dass es dort diese Diskussionen nicht gibt. Sondern dass sie sich am Volksfest und am Oktoberfest entzündet. Letztlich spricht es für diese Feste, dass ihre Bedeutung auch die Kritiker schmückt. Und die Grantler und Bruddler sich am Rummel abarbeiten. Wer Menschen ernst nimmt, der versucht nicht, sie zu erziehen, der traut ihnen eine eigene Meinung zu. So sollte man wissen, dass man vielen Göckele mit Propangas einheizt. Nicht nur mit Erdgas. Und dass Strom teuer, aber nicht knapp ist. Und dass dies an der von der Politik gewünschten Preisfindung des Strommarkts liegt und nicht an der Achterbahn. Dafür zahlen im Übrigen die Schausteller die Zeche, sie können die Kosten nicht weitergeben an ihre Gäste. Weil sie wissen, viele davon sind wahrlich nicht wohlhabend.

Sollten sich manche Kritiker selbst ein Urteil bilden wollen, würden sie staunen, wer dort unterwegs ist: Es ist einer der wenigen Orte, an dem sich alle treffen. Reiche und Arme, die mit Sauerwasser Getauften und am Bosporus und Tigris Geborenen, Halbhöhe und Vorort, Alte und Junge. Anders als anderswo kann man viel ausgeben, muss aber nicht. Es gibt keinen Eintritt, viele kommen einfach und freuen sich über die Lichter, die Geräusche, die Gerüche.

Wollen wir den Menschen jetzt auch noch das Staunen verbieten? Wer keinen Spaß am Rummel hat, wer Angst vor Corona hat, wem es zu teuer ist, der bleibt zu Hause. Wer gehen möchte, geht. Es ist wirklich einfach.

Von wegen volksnah

Nadia Köhler meint: Wer in Stuttgart oder München lebt, wird in diesen Tagen nahezu in jedem Small Talk zuverlässig mit einer Frage konfrontiert: „Und, gehst du hin?“ Volksfest oder nicht – was bis vor drei Jahren eine Geschmacksfrage war, wird diesmal zu einer Gewissensentscheidung hochstilisiert.

Das nervt. Definiert die Haltung zum Volksfest neuerdings wirklich, wer eine vermeintlich übertrieben vorsichtige Spaßbremse geworden ist, die sich den Krisen dieser Welt unterordnet und freiwillige Entbehrungen eines höheren Gutes willens vornimmt? Hoffentlich nicht. Für ein Fremdeln mit der Idee eines riesigen Volksfestes gibt es in diesem Jahr mehr Gründe als früher – auch wenn sie moralinsauer erscheinen mögen.

Ist es der Schunkelspaß von wenigen Stunden im Bierzelt wirklich wert, zu riskieren, dass das Familienleben coronabedingt erneut in beruflicher, schulischer und privater Hinsicht wochenlang zusammenbricht? Ist es nicht paradox, sich an energiefressenden, glitzernden Fahrgeschäften und mit Gas gebräunten Göckele zu erfreuen, während man sich daheim auf 18 Grad Raumtemperatur und Waschlappen statt Dusche einpendelt? Und wie volksnah ist ein Fest, auf dem eine Familie locker eine dreistellige Summe liegen lassen müsste – und das, wo die Preise so explodieren, dass viele für die Lebenshaltungskosten schon das Ersparte ankratzen?

Der Wasen als verbindender Ort, auf dem nicht nur das gut verdienende Volk feiert, diese Vorstellung erscheint unter momentanen Bedingungen ziemlich aus der Zeit gefallen. Und außerdem: Hat der zweijährige kalte Volksfest-Entzug nicht gezeigt, dass sich auf der Hocketse von nebenan auch ordentlich über die Stränge schlagen lässt?