Anna Mielczarczyk verteilt gespendete Kleider. Ihr Motto: Lasst uns was Gutes tun, aus christlicher Nächstenliebe. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Aus christlicher Nächstenliebe sammeln Privatleute Kleiderspenden, die sie an Obdachlosen verteilen. Am Samstag war es soweit – der Andrang war groß.

Stuttgart - „Handschuhe oder Schal?“, ruft Anna Mielczarczyk einer älteren Frau zu. Die Frau kann beides brauchen. Und gerne auch eine Mütze, denn vor der Vesperkirche ist es ziemlich frostig an diesem Samstagmorgen. Nach einer Stunde ist der erste Andrang aber noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: die als Abschrankung gedachten Bänke werden kaum noch beachtet. Die Bedürftigen wollen selbst ran an die Kisten mit Kleidung, die sich schon bald offen verteilt auf dem Boden stapelt.

Auslöser war ein Essen in der Vesperkirche

„Tausende Stücke“ seien das wohl, sagt Mielczarczyk, die diese „Kleiderspende für Obdachlose“ nun zum zweiten Mal organisiert hat. Vergangenes Jahr noch ohne Anmeldung, was dann von der Polizei unbürokratisch toleriert wurde. Dieses Jahr läuft die Aktion eines Nachbarschaftskreises aus der Gegend von Waiblingen offiziell angemeldet unterm Dach einer Beutelsbacher Freikirche. Ein Freund habe sie vor zwei Jahren „zu einem besonderen Essen eingeladen“: in die Vesperkirche, die sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Danach habe sie zu Freunden gesagt: „Kommt, lasst uns was Gutes tun! Aus christlicher Nächstenliebe.“ Und so hat die 49-Jährige auch dieses Jahr wieder Menschen aktiviert und Kleiderspenden gesammelt. Soviel sei dabei zusammen gekommen, dass sie eine Woche lang mit dem Sortieren beschäftigt waren. Mit 15 Helferinnen und Helfern ist sie vor Ort, um die Verteilung zu bewerkstelligen.

TVB Stuttgart unterstützt die Aktion

Ein richtiges Pfund im Fundes: Winterjacken in sehr guter Qualität. Fast 200 Stück, die sie einer Kooperation mit dem Handball-Bundesligisten TVB Stuttgart verdanken. Der Deal: Wer beim letzten Heimspiel eine Jacke spendierte, bekam zwei Freikarten fürs nächste Spiel. Deshalb ist auch der Außenspieler Sascha Pfattheicher vor Ort, verteilt Obst und Schokolade und ist „überrascht, dass es so viele sind, die was brauchen“. Es sei lehrreich, das zu sehen: „Damit man auf dem Boden bleibt und zu schätzen weiß, wenn es einem selbst gut geht“, sagt der 21-Jährige. Ob das aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sei? „Hier zählt der einzelne Mensch, der etwas Nützliches findet. Darauf kommt es an“, sagt er.

Was meinen die Obdachlosen?

Hemden, eine Hose und Unterwäsche zum Beispiel für Thorsten, der seit zwei Jahren „auf Platte“ ist: „Kleine Dinge, die mich über den Tag glücklich machen“, sagt er. Oder einfach „ein paar Klamotten“ für Mike, 36, der das Angebot „korrekt und echt gut“ nennt. Jetzt stärkt er sich in der Vesperkirche, bevor er an seinem Stammplatz in der Schwabstraße „einen Zehner“ will.

Einen Schlafsack und einen dicken Strickpullover hat Frank Ocker aus Bonlanden ergattert. Seit 14 Jahren ist er als Zimmermann auf der Walz, war auch „in Asien und Australien“. Er hat viel zu erzählen: „Es ist krass, wie ungleich die Ressourcen verteilt sind“, sagt er: „Ein paar Zehntausend stopfen sich die Taschen voll und Abermillionen kucken in die Röhre.“ Er ist so ins Gespräch vertieft, dass er gar nicht merkt, wie ihm sein Pullover abhanden kommt, was er so kommentiert: „Das wird jemand gewesen sein, der ihn mehr braucht als ich.“