Gefängnis ist für die Gerichte das letzte Mittel; wenn es geht, sprechen sie Strafen bis zu zwei Jahren zur Bewährung aus Foto: dpa

Niemand zweifelt daran, dass Neustart die Bewährungshilfe im Land gut und preiswert leistet. Und doch droht dem Modell das Aus, denn es gibt rechtliche und vor allem politische Widerstände.

Stuttgart - Trotz ihrer anerkannt guten Leistungsbilanz bei der Bewährungshilfe muss die private Trägergesellschaft Neustart damit rechnen, dass das Land ihren Vertrag nicht über 2016 hinaus verlängert. Vor allem die SPD-Landtagsfraktion neigt dazu, die Arbeit mit den Straffälligen wieder in staatliche Hand zu geben und damit die von Schwarz-Gelb beschlossene Reform rückgängig zu machen.

Dabei haben auch die Sozialdemokraten nichts grundsätzlich an der Arbeit von Neustart auszusetzen. Die Argumente eines 900-seitigen Gutachtens sind ja auch kaum zu widerlegen: Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) selbst hatte es im vergangenen Frühjahr vorgestellt und von „qualitativen Verbesserungen“ bei geringeren Kosten gesprochen.

Doch dieser Kostenvorteil – ein rein staatliches System wäre pro Jahr wohl 2,5 Millionen Euro teurer – beruht in den Augen mancher Abgeordneter auf einer schlechteren Bezahlung der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Auch Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid hegt diesen Verdacht: „Offenkundig liegt der Kostenvorteil einfach darin, dass die Gehälter deutlich geringer sind als im öffentlichen Dienst“, sagte er jüngst vor Medienvertretern.

Sollte das zutreffen, würde die SPD damit ihrem politischen Leitziel „gute Arbeit“ widersprechen. Es könne ja nicht sein, so Schmid, dass die Regierung einerseits darauf poche, dass öffentliche Aufträge an Tarifverträge gebunden sind, andererseits aber hinnehmen, dass die Bewährungshilfe mit fragwürdigen Tarifverträgen betrieben wird. „Das ist eine politische Abwägung“, so der Minister, der auch SPD-Landesvorsitzender ist.

Offensichtlich haben sich die Sozialdemokraten aber noch nicht eingehend mit den finanziellen Verhältnissen der 470 haupt- und 670 ehrenamtlichen Bewährungshelfer befasst. Denn von der Gewerkschaft Verdi, die im Jahr 2010 für 200 Angestellte einen Haustarifvertrag abgeschlossen hat, sind solche Vorwürfe nicht zu hören, im Gegenteil.

„Der Tarifvertrag orientiert sich im Wesentlichen an dem der Länder“, sagt Gewerkschaftssekretär Markus Kling, „im Schnitt kann man sagen, dass die Beschäftigten sogar einen Tick besser bezahlt werden als die Landesbeschäftigten.“ Ein Vergleich mit den rund 180 Landesbeamten, die noch bei Neustart arbeiten, ist zwar schwierig, weil diese andere Arbeitszeiten (41 Stunden statt 37,5) und eine andere Altersversorgung haben, doch von Dumpinglöhnen kann keine Rede sein. Kling: „Neustart ist kein Arbeitgeber, gegen den wir als Verdi Sturm laufen.“

Dennoch plädiert auch die Gewerkschaft dafür, dass die Bewährungshilfe wieder in staatliche Regie kommt. Sie sieht nämlich die Jobs der Betreuer in Gefahr, wenn die Bewährungshilfe – wie europarechtlich verlangt – im Jahr 2016 neu ausgeschrieben wird. Neustart mag dabei zwar gute Karten haben, meint Kling, aber es sei ja nicht auszuschließen, dass ein anderer Träger den Zuschlag erhält. Und der gehe dann womöglich mit einem anderen Team ins Rennen.

Dass aber ein Sozialarbeiter seinen Job verliert, weil die grün-rote Landesregierung die Privatisierung der Bewährungshilfe verlängert – dieses Szenario schreckt die SPD-Fraktion. Sie bevorzugt deshalb eine Überführung der Stellen in eine landeseigene Gesellschaft.

Fraglich ist allerdings, ob dabei der Koalitionspartner mitmacht. „Die Diskussion ist für uns noch offen“, sagt der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jürgen Filius. Unabhängig von der Organisationsform stehe für ihn die Qualität der Arbeit im Vordergrund, sagt er: „Und dabei ist festzuhalten, dass der bisherige Weg richtig war.“

Möglicherweise bleibt dem Land aber gar nichts übrig, als die Bewährungshelfer unter ein staatliches Dach zu geben. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat im November eine Entscheidung gefällt, die ein Weiter-so nicht mehr zulässt. „Beamtete Bewährungs- und Gerichtshelfer unterliegen nicht den Weisungen des privaten Trägers, dem derzeit vom Land die Aufgabe der Bewährungs- und Gerichtshilfe übertragen ist“, teilte das Gericht mit.

Aus der gesetzlichen Regelung müsse sich eindeutig ergeben, wer unter welchen Voraussetzungen befugt sei, einem beamteten Bewährungshelfer Weisung zu erteilen, heißt es weiter.

Die schriftliche Urteilsbegründung liegt zwar noch nicht vor – das Justizministerium will sich erst nach deren Lektüre zum weiteren Vorgehen äußern. Der Grünen-Abgeordnete Filius befürchtet aber schon jetzt: „Möglicherweise ist der Spielraum sehr eng.“ Eine Doppelstruktur aber will er nicht hinnehmen – dass also die Angestellten bei einem privaten, die Beamten aber beim staatlichen Träger arbeiten.