Nach gerade einmal drei Jahren verliert die katholische Großgemeinde auf den Fildern in Stuttgart ihren Priester schon wieder. Stefan Karbach sieht in einer anderen Stelle eine persönliche Chance. Für die Katholiken ist diese Entscheidung bitter.
Filder - Wer gestern in den Gottesdienst gegangen ist, um Kraft und Ruhe zu tanken, dürfte das Gegenteil erlebt haben. Am Sonntag haben die katholischen Gemeinden auf den Fildern erfahren, dass sie ihren Priester verlieren. Stefan Karbach hat seinen Weggang angekündigt. In Sillenbuch, Hohenheim und Heumaden hat er dies persönlich übernommen, in Degerloch hat aus organisatorischen Gründen ein anderer die Nachricht verkündet; sie dürfte eingeschlagen haben wie eine Bombe. So zumindest drückte sich Bernhard Bayer, zweiter Vorsitzender des Kirchengemeinderats von Mariä Himmelfahrt in Degerloch, am Freitag vorher aus.
Wechsel ans Spirituelle Zentrum
Stefan Karbach wechselt zum November an das dann neue Spirituelle Zentrum in den Stuttgarter Westen. Der 58-jährige Priester wird dort zusammen mit einer zweiten Person eine Doppelspitze bilden, sagt Nicole Höfle, Sprecherin des Dekanats. Klar ist wohl, dass er dies mit einer Frau tun wird, einen Namen kann Höfle noch nicht nennen. Das neue Spirituelle Zentrum gehört zum Projekt Aufbrechen, mit dem das Stadtdekanat auf den Mitgliederschwund reagieren will. In Degerloch ist das Trauerpastorale Zentrum geplant. Zudem wird es ein Jugendpastorales Zentrum geben.
„Ich bin nicht hierher gekommen, um nach drei Jahren wieder zu gehen“, stellt Stefan Karbach gegenüber unserer Zeitung klar. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sondern ein Jahr lang abgewogen – und sich schließlich für die neue Herausforderung entschieden. „Meine Sehnsucht geht seit 30 Jahren in diese Richtung“, sagt er und meint das Konzept für das Spirituelle Zentrum: Wege der Glaubenssuche verbunden mit Theater, Film und Literatur. Im Studium hatte Karbach mit dem Gedanken gespielt, beruflich in der Theaterwelt anzuheuern. Nun hat er die Hoffnung, beide Welten miteinander zu verbinden. „Jetzt oder nie“, sagt er mit Hinblick auf seine 58 Jahre. Als Karrieresprung sieht er die Chance allerdings nicht. Dass er den vier katholischen Gemeinden auf den Fildern mit seiner Entscheidung Kummer bereitet, ist ihm klar.
Für Katholiken ist die Entscheidung bitter
Das liegt auch daran, dass für die seit 2015 bestehende Großgemeinde Sankt Johannes XXIII. eine Hängepartie beginnt – erneut. Der Gemeinde gehören insgesamt 14 000 Menschen in den vier Stadtbezirken an. Und vor allem für die Katholiken aus Sillenbuch und Heumaden ist die Entscheidung ihres Noch-Priesters bitter. Die beiden Gemeinden haben in den vergangenen zehn Jahren einiges durchmachen müssen. 2009 hatte sich der langjährige Augustinerpater Pfarrer Gottfried in den Ruhestand verabschiedet, danach wollte einfach keine Ruhe mehr einkehren. Gottfrieds Nachfolger, der 2010 in Sillenbuch und Heumaden – damals noch eine Einheit mit Kemnat und Ruit – anfangen sollte, wurde kurzfristig wieder abgesetzt. Es lag eine Anzeige wegen Kindesmissbrauchs gegen ihn vor. 2011 fand sich dann in Roland Rossnagel ein Priester, den die Gemeinden schnell schätzen lernten. Doch er blieb ihnen nur drei Jahre erhalten. Aus dem Grund machte Rossnagel keinen Hehl: Weil er den Kurs des katholischen Stadtdekanats nicht mittragen konnte, hat er sich aus Stuttgart verabschiedet und ist als Stadtpfarrer nach Heilbronn gewechselt. Er war gegen die Zerschlagung der Einheit mit Ruit und Kemnat und die Gründung einer Großgemeinde mit Degerloch und Hohenheim. Nach zwei Jahren ohne leitenden Pfarrer kam Ende 2016 Stefan Karbach auf die Filderebene. Als Stippvisite, wie sich nun herausstellen sollte.
Wie will er die Doppelbelastung schultern?
Karbach hat den Gemeinden zugesagt, sich um Administratives zu kümmern, bis sich ein Nachfolger gefunden hat. Die Stelle soll noch im April ausgeschrieben werden. Wann sich jemand findet, steht angesichts des Priestermangels in den Sternen. Und wie will Karbach diese Doppelbelastung schultern? „Ich glaube, dass das für einen gewissen Zeitraum schon geht“, sagt er.
Die Reaktionen in den Gemeinden sind zwiegespalten: einerseits Verständnis für die persönliche Entscheidung des Priesters, sagt Odilo Metzler, Hohenheimer Hochschulseelsorger. Andererseits: „Wir fragen uns schon, wie das alles werden soll.“ Viele dürften Angst vor einer längeren Vakanz im Pfarrhaus haben. Bernhard Bayer aus Degerloch bestätigt dies. Er macht sich vor allem Sorgen, wie es mit dem Trauerpastoralen Zentrum weitergehen soll – ohne leitenden Pfarrer. „Das Projekt darf nicht verzögert werden“, sagt er. Bayer habe schon die Erfahrung gemacht, dass keine wegweisenden Entscheidungen getroffen werden, wenn kein leitender Pfarrer da ist. Ihm ist aber wichtig, zu sagen: „Ich bin nicht von Stefan Karbach enttäuscht, er ist klar und redlich“, sagt er. „Aber ich bin traurig. Frustriert wäre aber sicher zu viel gesagt.“