Joachim Löw (links) und Oliver Bierhoff präsentierten ihre lange erwartete WM-Analyse. Foto: dpa

Joachim Löws Analyse zum WM-Debakel wird in ganz Deutschland diskutiert. Wir geben einen Überblick, wie der (vermeintliche) Neuanfang von Joachim Löw in den Gazetten und auf diversen Homepages eingeordnet und bewertet wird. Von ironisch bis scharf ist so ziemlich alles dabei.

Stuttgart - Die einen sprechen von einem „Neuanfängchen“ (Kicker), andere von einem „Revolutiönchen“ (Zeit) – den von manchen erhofften großen Befreiungsschlag landete Bundestrainer Joachim Löw in den Augen der Sportredaktionen des Landes offenbar nicht. Dennoch gehen die Kommentatoren unterschiedlich hart mit dem Bundestrainer ins Gericht. Und manch einer flüchtet sich gar in Sarkasmus.

Reicht guter Wille alleine?

Zeit: „Es blieb offen, ob die Führung der Nationalmannschaft wirklich begriffen hat, wie und warum die Titelverteidigung auf solch deprimierende Art scheiterte. Und ob der Trainer weiß, wie die deutsche Nationalmannschaft wieder mehr Tore schießen wird und künftig wieder ein Halbfinale anpeilen kann. Jedenfalls schienen es Löw und Bierhoff ehrlich zu meinen mit ihrem Bußgang von München. Er war keineswegs nur gespielt. Der gute Wille zählt, und der war da.“

Süddeutsche: „Veränderungen müssen stattfinden und die größten Veränderungen muss Joachim Löw von Joachim Löw einfordern. Denn wenn der Bundestrainer die Analyse des Bundestrainers ernst nimmt, dann wird er feststellen, dass die Hauptfehler beim Bundestrainer lagen. Löw sagte: Wir haben mit der falschen Taktik gespielt – und die maximale Einsatzbereitschaft, die hatten wir auch nicht. Er sagte klipp und klar, dass er dafür verantwortlich ist, was weniger heroisch ist, als es sich liest, weil es auch schlicht nicht zu leugnen ist.“

Welt: „Zwar zeigte der Bundestrainer in der Tat dezidiert auf, was sportlich alles falsch gelaufen ist in Russland, er übte auch unerwartet drastische Selbstkritik, aber als es an die Schlussfolgerungen ging, fehlte es ihm an der nötigen Handlungsstärke. Stattdessen präsentierte er kraftvoll klingende Phrasen, die jedes x-beliebige Motivationsseminar gefüllt hätten. Man müsse „das Feuer wieder zum Brennen bringen“ und „die Leidenschaft entfachen“. Das ist richtig. Aber wenn fehlende Leidenschaft das größte Problem gewesen sein soll, dann hat die Mannschaft wirklich ein Problem. Und dann ist es nicht damit getan, dass ein Co-Trainer geschasst wird. Löws Auftritt war rhetorisch stark, inhaltlich war er halbherzig. Das lässt für die nächsten Turniere eher nichts Gutes erwarten.“

Fachpresse kritisch mit Löw

Kicker: „Wie Joachim Löw bei den Spielern wieder Leidenschaft, Begeisterung und Teamgeist wecken will, ließ er im Unklaren. Dass er seinen Führungsstil grundlegend ändert, ist nicht zu erwarten. Löw setzt weiter auf Kommunikation und Vertrauen, nicht auf eine harte Linie und Kontrolle. Und auch der eher trotzig denn einsichtig wirkende Bierhoff ließ in der Frage, wie der zunehmenden Entfremdung zwischen Nationalmannschaft und Basis entgegengewirkt werden soll, keinen Kurswechsel erkennen. Der anmaßende Begriff „Die Mannschaft“, von Bierhoff nach dem WM-Erfolg 2014 kreiert, bleibe vorerst bestehen. Da wolle er sich „nicht von Stimmungen und Stimmen leiten lassen“. Es wäre angebracht, wenn Bierhoff und Löw künftig mehr auf eben diese Stimmungen und Stimmen achten. Es hätte ihnen eine fatale Fehleinschätzung in der Causa Mesut Özil erspart. Der Neubeginn in der Nationalmannschaft ist gemacht, aber es war eher ein Neuanfängchen mit vielen Worten und wenig konkreten Botschaften.“

11 Freunde: „Löw kämpfte sich durch mäßig attraktive Powerpoint-Folien, präsentierte in Stichworten Sachverhalte, die längst offensichtlich waren. Ein erstaunliches Eingeständnis war darunter, da der Bundestrainer es als seine größte Fehleinschätzung bezeichnete, gedacht zu haben, mit Ballbesitz-Fußball durch die Vorrunde zu kommen. Das sei fast schon »arrogant« gewesen. Ansonsten lieferte er wenig überraschende Erkenntnisse. Aber was hätte er auch sonst tun sollen? Hätte er sich Erklärungen ausdenken sollen? Lagen die Gründe für das Scheitern der deutschen Elf nicht für jeden halbwegs am Fußball Interessierten auf der Hand? Den geifernden Kommentatoren im Netz war das alles dennoch Anlass genug, Löws Analyse in der Luft zu zerreißen. Und dafür habe er so lange gebraucht? Ein hässlicher Schachzug der Pseudo-Überlegenheit.“

Berliner Zeitung fragt: „Ist Löw tatsächlich noch der Richtige?“

Berliner Zeitung: „Im Endeffekt ist es ein „Weiter so“ mit einer paar kleinen Korrekturen. Ein „Weiter so“, mit dem Löw sein eigenes Versprechen konterkariert, wonach es im Zuge der WM-Blamage doch radikale Veränderungen geben sollte. Ist er also tatsächlich der Richtige, um einen Neuanfang zu moderieren? Nach seinem Auftritt in der Münchner Arena gibt es dahingehend mehr Zweifel denn je.“

Spiegel: „Fehlende Leidenschaft und ein unflexibles taktisches System - diese Defizite hatten die Medien schon wenige Tage nach dem WM-Ausscheiden als Ursachen ausgemacht. Dazu hätte es nicht unbedingt des zweimonatigen Schweigens bedurft. Vor allem, weil Löw und Bierhoff die weitergehenden Fragen, die Verwerfungen um Mesut Özil, die Entfremdung der Nationalmannschaft von ihren Anhängern, den überbordenden Kommerz-Wasserkopf um die Mannschaft nicht wirklich an sich heranließen.“

„Es kreißte der Berg, und er gebar eine Maus, heißt es. In diesem Fall müsste man wohl eher von einem Mäuschen sprechen. Eines soll dann aber doch passieren: Die Anregung von DFB-Boss Reinhard Grindel, auf das Marketing-Etikett „Die Mannschaft“ zu verzichten, werde man, so Bierhoff, „gründlich prüfen“. Er werde dies „mit unseren Stakeholdern“ diskutieren. Die Wortwahl spricht schon dafür, dass die Fannähe bald wieder hergestellt ist.“

Internetportale zählen Löw an

Spox.com: „Das soll nicht bedeuten, dass Löw und Bierhoff die Falschen für den Neuaufbau der Nationalmannschaft nach dem WM-Debakel sind. Der Ruf nach einem radikalen Kahlschlag ist vielleicht auch zu populistisch. Die Pressekonferenz am Mittwoch hat aber auch keinen Aufschluss darüber gegeben, dass sie die Richtigen sind. Das müssen nun die Resultate in den kommenden Monate zeigen. Die von langer Hand angekündigten Ergebnisse der Analyse jedenfalls hatten letztlich null Aussagekraft. In dieser Form hätte man sie sich auch sparen können.“

Sport1.de: „Schlingert Löws Kogge auch weiterhin uninspiriert und unrestauriert durch die Stadien dieser Welt, wäre es für die Spieler – egal ob bewusst oder unbewusst – ein leichtes, sich unabhängig von ihren Leistungen hinter der Löwschen Selbstkritik zu verstecken. (...) Der Bundestrainer verspürt nach eigenem Bekunden jedoch die Energie und Motivation, die Nationalmannschaft wieder zur Einheit und zur Weltspitze zu führen. Überträgt sich all das ab kommender Woche aber nicht auf die Mannschaft, wird sich trotz epischer Analyse unter dem alten Trainer kein neues Feuer entfachen. Dann könnte der Bundestrainer nicht nur Glaubwürdigkeit verlieren, sondern am Ende vielleicht sogar seinen Job.“

ESPN: „Unter normalen Umständen müsste ein Teamchef, der eine falsche Taktik und fehlendes Feuer innerhalb der Mannschaft einräumt, seinen Posten räumen. Aber Joachim Löws öffentliches „mea culpa“, bei dem er sich sichtlich unwohl fühlte, war der Preis, den der Weltmeister-Teamchef bezahlen musste, um weitermachen zu dürfen. (...) Dass sich weder Bierhoff noch Löw mit den Aussagen Mesut Özils auseinandersetzten, kann nicht mit Ignoranz entschuldigt werden. Es ist der feige Weg, sich vor einer Debatte zu drücken, die in Anbetracht der EM-Bewerbung von Deutschland und der Türkei zur Unzeit kommt. (...) Den Ton der „Bild“-Zeitung in der Özil-Frage zu übernehmen, scheint vielleicht der Preis zu sein, den Löw und Bierhoff für den katastrophalen Sommer zu bezahlen haben.“