Rollschuhfahrende Nonnen in „Sancta“. Foto: dpa/Nicole Marianna Wytyczak

Wird die Stuttgarter „Sancta“-Oper von Florentina Holzinger medial aufgebauscht? Das Team klagt inzwischen über Gewaltdrohungen und Hatespeech. Aber auch weltweit sorgt die Aufführung für Schlagzeilen.

„Bis der Arzt kommt: Holzingers Sancta macht Stuttgarter fertig“, titelt der österreichische Standard nach der viel diskutierten Aufführung in der Landeshauptstadt. Weltweit hat das Spektakel in der Staatsoper für Aufsehen gesorgt: „Ich bin der nackte Jesus in der Schock-Oper, die das Publikum krank macht – die Rolle ist der größte Nervenkitzel meines Lebens“, wird die Schweizer Akteurin Annina Machacz von der „New York Post“ zitiert.

 

Unterdessen beklagt die österreichische Choreografin Florentina Holzinger via Instagram, dass das Team seit den Berichten „mit Gewaltdrohungen und Hatespeech von Fanatikern und Dogmatikern umgehen müsse.“ Dies sei „Teil des Problems“ und der Grund dafür, dass ihr die Show und deren Aufführung so wichtig erschien, wird sie vom Schweizer Boulevard-Blatt „Blick“ zitiert. „Wer es nicht sehen will, soll nicht kommen“, bringt es Holzinger auf den Punkt.


Laut Holzinger werde das Thema medial aufgebauscht, weil nackte Frauenkörper und die Kirche thematisiert werden. Medien würden dabei auch voneinander abschreiben, ohne die Show tatsächlich gesehen zu haben. Die Schilderungen seien teilweise realitätsfern, und es fehle jede Kontextualisierung, beklagt die Regisseurin den Hype, den sie mit ihrem Stück selbst hervorgerufen hat.

„Sancta“ 1921 in Stuttgart vereitelt

Vertiefter beschäftigt sich indes das britische Qualitätsmedium „The Guardian“ mit Sancta und verweist unter anderem auf eine vereitelte Premiere des Hindemith-Stücks im Jahr 1921 in Stuttgart. Erst 1922 konnte es aufgeführt werden, da damals schon die Handlung allein als Sakrileg empfunden wurde.

Immerhin gehe es im Original „Sancta Susanna“ um eine junge Nonne die am Altar nackt das Leintuch vom Christus-Torso reiße und ihre Tat dann so bereue, das sie sich von den Mitschwestern lebendig einmauern lassen wolle. „18 Behandlungen wegen schwerer Übelkeit nach Oper mit Live-Sex und Piercing“ wird die kurze Kritik des „Guardian“ im Titel etwas expliziter. „Ein Jahrhundert nach seiner Entstehung schüttelt Sancta Susanna immer noch die Opernwelt durch“, resümiert „Le Figaro“ den vermeintlichen Skandal.

Akrobatik in „Sancta“. Foto: Nicole Marianna Wytyczak/Nicole Marianna Wytyczak

NZZ: „O Sancta Susanna!“

„O Sancta Susanna! Eine freizügige Performance sorgt in Stuttgart für Aufregung und Übelkeit“ schreibt die NZZ. Der „Musiktheaterabend“ verstöre Teile des Publikums. Das Haus wolle aber trotzdem an der gefeierten Produktion festhalten.

Während die Schlagzeilen das katholische Italien noch nicht erreicht zu haben scheinen, beteiligt man sich in Argentinien an der Debatte: „Furor in Deutschland wegen einer brechreizerregenden Oper“ titelt „La Nación“ und verweist im ausführlichen Text unter anderem auf die Kunstfreiheit.

Daily Mail: „Sex-Oper mit Feuereffekten“

„Fast 20 Menschen nach schockierenden blutigen Sexszenen in Stuttgarter Opernaufführung behandelt“, schreibt die liberale niederländische Tageszeitung „De Telegraaf“, während sich der britische Boulevard detailverliebt gibt: „Treffen Sie die nackte weiblichen Jesus-Darstellerin einer lesbischen Sex-Oper, die so anschaulich ist, dass die Zuschauer medizinisch behandelt werden mussten. Sie beschreibt den Nervenkitzel der gefährlichen Stunts, bei denen sie sich selbst in Brand setzt“, bezieht sich die Daily Mail mit Zitaten und opulenten Bildern auf Darstellerin Annina Machacz.

NYT: „Rollschuhfahrende Nonnen im Opernhaus

Dass das expressionistische Avantgarde-Stück Wellen schlagen würde, hatte die New York Times übrigens schon vorab erkannt: „Als rollschuhfahrende Nonnen ins Opernhaus kamen“, lautete ihre Schlagzeile bereits bei der Vorankündigung im Mai. Weltweit die Runde macht „Sancta“ jedoch erst seit einem Bericht von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten über Notarzt-Einsätze bei der Aufführung. Bei der Premiere in Wien sowie in Schwerin hatte sich das Publikum hingegen weniger beeindruckt gezeigt als hierzulande.