Ein gesellschaftlicher Anlass sich schick in Schale zu werfen: volles Tanzparkett beim Presseball 2016 in der Liederhalle Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttgart

Im November wird der 60. Landespresseball in der Liederhalle gefeiert. Der Dresscode ist Ballkleid – und da hat sich in den letzten Jahren viel verändert.

Stuttgart - „Entweder man ist es oder nicht“: So einfach ist die Sache für Harald Glööckler. Der Modezar („Pompöös“) und TV-Star erschien vor drei Jahren in vollem Ornat zum Landespresseball, und zwar im strassbesetzten Frack. Derer habe er geschätzte 15 im Schrank, dazu rund 20 Cuts und etwa 50 Paar Abendschuhe, erzählte er.

Was aber zieht man an, wenn man nicht ganz so viel Auswahl daheim hat? Zumal das größte gesellschaftliche Ereignis der Stadt am Freitag auch noch ein Jubiläum feiert. Was also trägt der Stuttgarter beziehungsweise die Stuttgarterin beim 60. Landespresseball?

Johnny Talbot und Adrian Runhof kennen die Antwort. Sie entwerfen in München für ihr Label Talbot Runhof Anlassmode, wie es die Designer nennen. Für die Ballsaison 2019 empfehlen sie neue moderne Silhouetten, beispielsweise in A-Linie. Ein zweiter Trend seien „couturige extravagante Roben“, gern in leuchtenden Neonfarben mit gigantischen Schleifen und Volants.

Die Klassiker werden immer jünger

„Zurzeit gibt es einen großen Umbruch“, sagt Robert Herzog, der an der Staatlichen Modeschule in Stuttgart lehrt. Die jüngeren Kundinnen hätten ein anderes Selbstverständnis als die älteren und das zeige sich auch in der Ballmode. Gerade in der Haute Couture, etwa bei Dior und Givenchy, gebe es neue Ansätze: Hier werde etwa ein Latex-T-Shirt mit Silberprint zum langen Spitzenrock kombiniert. Auch Anzüge für Frauen seien im Kommen. „Die Klassiker werden immer jünger. Hier fließen Alltäglichkeit und Streetstyle in die Abendmode ein.“

Martina Haberbosch als „Head of Style“ bei Breuninger ganz nah an den Kundinnen dran, setzt wie Talbot Runhof auf das schmal geschnittene Ballkleid. Für diejenigen, die kein Kleid tragen möchten, biete sich der Smoking an oder der dekorative Hosenanzug – hier ist sie mit Herzog einig. Generell zeige sich Schwarz wieder als wichtige Modefarbe in Hinblick auf die gegenwärtigen Ballmodentrends. Neu seien Edelsteinfarben wie etwa Smaragdgrün. Ihr Fazit: „Es gibt kein Modediktat – Ballkleid und Trägerin müssen miteinander harmonieren. Der Look und die Länge des Kleides sind jedoch abhängig vom Dresscode der jeweiligen Veranstaltung.“

Auf der Einladung zum Landespresseball steht: „Damen: Ballkleid / Herren: Smoking / Dunkler Anzug. Kein Einlass ohne Abendgarderobe. Wir bitten um ihr Verständnis.“ Dieser Zusatz war in den Anfängen des Balls, also in den 60er Jahren noch nicht nötig. Allerdings, gibt Martina Haberbosch zu bedenken, hatte damals die Mode auch eine elitäre Funktion: Sie sollte den gesellschaftlichen Stand des Trägers oder der Trägerin ausdrücken.

Das sieht auch Robert Herzog so. Erst allmählich im Laufe der 60er habe in modischer Hinsicht die Emanzipation der Frau angefangen, erläutert der Dozent für Entwurf, Konzeption und Modeillustration. „Mein Körper, mein Leben gehört mir – dazu gehört auch: ich zeige meine Knie.“ Dazu kämen Einflüsse aus Musik und Kunst, die sich in den 70ern und 80ern in psychedelischen Mustern oder in der Disco-Mode niederschlugen. „Das gilt auch für die Abendmode, die immer einen Gesellschaftsbezug hat.“

Individualität spielt eine große Rolle

Während in den 60er Jahren elegant zurückhaltende Silhouetten mit figurformenden Corsagen und weiten Ballröcken gefragt gewesen seien, ergänzen Talbot Runhof, drücke man heute vielmehr seine eigene Persönlichkeit durch seinen Look aus. „Individualität spielt heute eine ganz große Rolle. Da darf es dann schon mal etwas ,lauter‘ und extrovertierter zugehen.

Das scheint den jungen Ballgästen entgegenzukommen, die in der Liederhalle in den vergangenen drei, vier Jahren tatsächlich deutlich mehr geworden sind – und immer eleganter gekleidet. Martina Haberbosch spricht von einem allgemein in der Mode herrschenden Trend zur Casualisierung, also zu legeren Looks, der bei jungen Menschen wieder mehr den Wunsch entstehen lasse, sich zu gegebenen Anlässen schick zu kleiden und zum Ballkleid oder zum Smoking zu greifen.

Robert Herzog nennt das „Dressing up“: Das Bedürfnis, sich in Abendrobe zu präsentieren, hänge damit zusammen, dass der durchorganisierte Alltag – Kinder in die Kita, Job, Meeting, Abendessen – eine Kleidung erfordere, die zwar modisch aber vor allem funktionell sein müsse. „Da nutzt man Anlässe, um sich herauszuputzen.“

Das sei aber nur die eine Motivation, die andere habe mit Instagram & Co zu tun. „Wir werden täglich von Influencern mit Red-Carpet-Bildern überflutet, keine Veranstaltung kommt mehr ohne Fotowand aus. Da wollen wir alle auch schöne Bilder von uns selbst zeigen.“ Oder wie Talbot Runhof es ausdrücken: „Durch die sozialen Medien sind auch junge Menschen heute permanent von Mode beeinflusst, lieben es, sich darin auszuprobieren und schaffen sich oft selbst ihre Anlässe – sei es die Hochzeit der besten Freundin oder andere Events, für die man sich in Schale schmeißt.“