Das Interesse der Leser an zuverlässigem Journalismus ist in der Corona-Krise riesig. Doch der Rückgang auf dem Anzeigenmarkt führt in vielen Redaktionen zur Kurzarbeit – ein klassischer Zielkonflikt für die Verleger. Zuversicht schöpfen sie derzeit aus den Digital-Trends.
Stuttgart - Das ist für viele Journalisten eine neue Erfahrung: Wenn sie in diesen Wochen über die Folgen der Coronakrise für die Wirtschaft berichten, über Rezession und Kurzarbeit, dann steht diesmal auch die eigene Branche im Fokus: „Mittlerweile haben 80 bis 90 Prozent der Verlage Kurzarbeit angekündigt oder bereits eingeführt“, hat der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) am Freitag unserer Zeitung mitgeteilt, „gut 30 Prozent davon auch in den Redaktionen“. In kurzer Frist drastisch gesunkene Einnahmen – besonders auf dem Anzeigenmarkt – lassen viele Zeitungsverlage zu einem Instrument greifen, das auch sonst gerade bundesweit in großem Maßstab helfen soll, die Unternehmen kurzfristig von einem Teil ihrer Lohnkosten zu entlasten, aber langfristig die Arbeitsplätze für bessere Zeiten zu erhalten.
„Der wirtschaftliche Druck auf unsere Mitglieder ist enorm“, sagt dazu eine BDZV-Sprecherin. „Der Monat März war mit einem Anzeigenmarkt-Minus im Schnitt von etwa 30 bis 40 Prozent schon schlimm. Aber richtig düster wird der April; da rechnen wir inzwischen bei den regionalen Titeln mit einen Rückgang der Anzeigenmarkt-Erlöse um 80 Prozent und mehr.“ Mathias Döpfner, Vorstandschef der Axel Springer SE und zugleich Präsident der Zeitungsverleger, zeichnet darum im Interview mit dem „Spiegel“ auch zwei Zukunftsszenarien: „ein positives und ein düsteres“. Entweder gelinge es den Verlegern, „die gestiegene Bedeutung des Journalismus für neue, bessere digitale Geschäftsmodelle zu nutzen. Dann wird unsere Branche gestärkt aus der Krise hervorgehen“. Oder es komme halt anders: „Dann wird die Coronakrise in den nächsten Monaten zum Brandbeschleuniger in einem kostspieligen Transformationsprozess, den viele Verlage nicht überleben.“
„Die Nutzung der Digitalangebote schießt gerade durch die Decke“
Drohende Worte – die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen mit den Alltagserfahrungen, die Journalisten aktuell bei ihrer Arbeit machen. „Schon lange nicht mehr sind die Reaktionen der Leser auf unsere Zeitungen so durchweg positiv wie aktuell in der Coronakrise“, sagt Holger Paesler, Geschäftsführer des Verbandes Südwestdeutscher Zeitungsverleger in Stuttgart. „Gerade die stark differenzierte Presselandschaft im Südwesten mit ihren regionalen und lokalen Titeln profitiert enorm von der Suche der Menschen nach verlässlichen Informationen.“ Die aktuelle Lage in Freiburg sei halt eine ganz andere als in Stuttgart oder gar in Berlin. Darauf könnten die 48 Mitglieder des Verbandes lesernah reagieren. „Das zahlt sich bei den Print-Ausgaben aus, vor allem aber überall dort, wo es gute Digitalangebote gibt. Da schießen die Nutzerzahlen gerade durch die Decke“.
Doch auch Paesler bestätigt dramatische Einbrüche auf den Anzeigenmärkten, „just im regionalen und lokalen Bereich: Im Handel haben die meisten Geschäfte geschlossen, alle Veranstaltungen fallen aus. Für was sollen unsere Kunden da werben?“ Diese Anzeigen würden später auch nicht „nachgeholt“. Er beobachte differenzierte Antworten der Verleger auf die Krise, „jeder macht das anders“. Doch um kurzfristig Kosten senken zu können und so Liquidität zu sichern, komme man um Reduzierungen beim Umfang oder eben um Kurzarbeit kaum herum. „Wobei man bei den Redaktionen natürlich am wenigsten sparen will.“
Unter den Rettungsschirm des Staates?
Doch zu Einschnitten in den Redaktionen sieht sich auch die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) gezwungen, die unter anderem die Süddeutsche Zeitung, die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten verlegt. SWMH-Geschäftsführer Christian Wegner kündigte kürzlich den Mitarbeitern an, neben einem „zeitweiligen Einstellungsstopp“ und einer Sperre bei allen Sachkosten für einen bestimmten Zeitraum auch Kurzarbeit „in einigen Bereichen“ einführen zu wollen. Bei der Süddeutschen in München ist die Vereinbarung mit dem Betriebsrat inzwischen getroffen, im Stuttgarter Pressehaus wird darüber gerade verhandelt.
Andererseits betont auch Wegner, wie erfreulich sich das Leserinteresse entwickele: Im März gab es laut Verlag ein Allzeithoch von 66 Millionen Seitenzugriffe auf das Online-Angebot von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung. Zudem stieg die Zahl der digitalen Abonnements auf rund 27 000. Wegner: „Zwar kann dieses sehr gute Wachstum unsere Verluste an anderer Stelle noch nicht ausgleichen.“ Aber wenn der „Fokus aufs Digitale“ gerichtet sei, könne „zukünftig der Rückgang von Print durch das Wachstum im Digitalen“ kompensiert werden. Das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, bleibe eindeutig „Qualitätsjournalismus“.
Für den es eben offenbar just in der Corona-Krise immensen Bedarf gibt; nicht umsonst wird die journalistische Arbeit von der Politik als „systemrelevant“ eingestuft. BDZV-Präsident Mathias Döpfner: „Es ist fast tragisch, dass ausgerechnet in diesem besonderen Moment medialer Verantwortung das ökonomische Fundament so rasant ins Wanken gerät.“ Einen „staatlichen Rettungsschirm“ für die Branche lehnt er dennoch grundsätzlich ab: Das wäre „hochgefährlich“, wenn „der Staat irgendwann die Berichterstattung über sich selbst finanzieren würde“. Sinnvoll aus seiner Sicht wäre dagegen, die kostspielige Zustellung der Zeitungen „im ländlichen Raum“ zu fördern: „Vielleicht gibt es jetzt die Möglichkeit der Soforthilfe.“