Für Rubén Caballero, dem jungen Spross einer legendären Trapezartistenfamilie, befindet sich der „beste Zirkus von Europa“ in Stuttgart. Monaco sei nur ein Festival. Bei der Party nach der euphorisch bejubelten Premiere zum Jubiläum gibt es Überraschendes.
Er hat’s nicht geschafft, erhält aber den stärksten Beifall der Premierennacht: Beim Versuch, den berüchtigten Vierfach-Salto am Trapez zu schaffen, stürzt der 15-jährige Louis junior Caballero ins Netz, auch bei der Wiederholung – und wird bei der Show zum 30. Geburtstag des Weltweihnachtscircus aber zum Artisten der Herzen.
Bei der Vorpremiere schrieben die mexikanischen Caballeros, die in den USA leben, Zirkusgeschichte: Da brillierten sie mit drei Salti Mortale hintereinander. Vor ihnen hat das noch niemand geschafft, selbst ihre Eltern (1995 traten sie auf dem Wasen auf) nicht, von denen sie alles lernten. Bei der Premiere zum 30-Jahr-Jubiläum ist die Nervosität groß. Knapp rutscht Louis ab. Belohnt werden Mut und Leidenschaft. Wenn nicht alles zum Erfolg führt, wird erst klar, wie schwer dieser Wahnsinn ist.
„Zu 80 Prozent“ schaffen die Caballeros die Sensation
Bei der After-Show-Party sind die Caballeros die ersten Artisten, die zum Feiern kommen. Sie sind sehr hungrig. Vor dem Auftritt essen die Künstler nichts. Dass es ausgerechnet bei der Premiere nicht geklappt hat, ärgert sie sehr. „Zu 80 Prozent schaffen wir es“, sagt Rubén Caballero.
Die geladenen Stadtpromis (darunter Musicalstar Aisata Blackman, Ex-VfB-Profi Timo Hildebrand, „Tatort“-Kommissar Richy Müller, Opernintendant Viktor Schoner, Ballettstar Jason Reilly, die Entertainer Michael Gaedt und Roland Baisch, TV-Moderatorin Tatjana Geßler, Moderator Mustafa Göktas, der Ringer-Weltmeister Frank Stäbler, Sänger Lucas Fischer) überbieten sich gegenseitig beim Jubeln. OB Frank Nopper kommt zur zweiten Showhälfte aus dem Gemeinderat. „Sensationell“, „die beste Show in 30 Jahren“, „gigantisch“ – das sind häufige Kommentare. Eine Frage, die bei der Party häufig gestellt wird: War der Mann, den die Clownin Mooky aus dem Publikum zum Mitmachen in die Manege geholt hat, wirklich ein ahnungsloser Zuschauer – oder einer aus dem Zirkusteam? Denn so überzeugend agierte dieser „Philippe“!
Wir haben uns auf die Suche gemacht, um dieses Rätsel zu klären. Das Ergebnis überrascht viele: Der unbekannte Showpartner, der Texte vorlas, die gut verteilt auf dem Körper der kanadischen Künstlerin angebracht sind, sodass ein romantisches Tête-à-Tête entstand, heißt Philippe Piscol und ist Unternehmensberater. Zur Premiere hat er 40 Geschäftspartner eingeladen, vor allem Insolvenzverwalter. Nein, er ahnte nichts von seinem Bühnenglück. Bei der After-Show-Party lernt Piscol die Clownin Mooky, die er nie zuvor in seinem Leben sah, dann richtig kennen. Die beiden stoßen darauf an, dass sie so gut harmonierten bei den innovativen, ja poetischen Slapsticks und das Publikum fürwahr verblüfften.
Die Clownin Mooky war ein Star beim Cirque du Soleil
„Mooky hat den richtigen Riecher für bühnentaugliche Besucher“, sagt der 27-jährige Zirkuschef Dalien Cohen, Schwiegersohn des 87-jährigen Zirkusgründers Henk van der Meijden. Vor dem Auftritt schleicht sich die Clownin, ein Star auch beim Cirque du Soleil, durchs Publikum und hält Ausschau nach einem „Opfer“.
Was geschieht, wenn sich der Auserwählte bei ihrer Darbietung bockig verweigert? „In Deutschland passiert das selten“, sagt Mooky, „in den USA oder in Australien öfter.“ Für diesen Fall hat sie einen Plan B und baut ihre Szenen völlig um.
Lisa Federle fragt: Liegt’s am Marfan-Syndrom?
Die Ärztin Lisa Federle, die in der Pandemie bundesweit bekannt wurde, schwärmt für den Schlangenmann Aleksandr Batuv, der wohl Knochen aus Gummi besitzt. So irre verknotet sich der Russe, dass er in eine Kiste passt. Unfassbar! Aus der Medizin kennt Federle das Marfan-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine genetische Erkrankung, bei der es zu einer extremen Elastizität des Bindegewebes kommt. Nein, damit hat Aleksandr nichts zu tun. Aber mit einer Krankheit fing seine Kunst tatsächlich an: Nach einer Knieverletzung mit 17 Jahren beim Hindernislauf entwickelte er seine eigene Rehabilitation, um zurück zum Sport zu können – daraus wurde diese äußerst biegsame Weltnummer!
Der Erlös der Premiere geht wie seit 25 Jahren an die Olgäle-Stiftung. Dafür bedankt sich die Präsidentin Stefanie Schuster und ernennt Henk van der Meijden zum Ehrenmitglied der Stiftung. Und Clownin Mooky schwärmt vom Stuttgarter Publikum. Bei Premieren, wenn viele Promis kommen, sei die Stimmung meist eher verhalten, sagt sie: „Aber in Stuttgart gehen die Leute voll ab!“