Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“ wird unter Elena Zzavaras Regie an der Jungen Oper im Nord (Join) gespielt. Foto: Christoph Kalscheuer

Die Junge Oper im Nord (Join) der Staatsoper Stuttgart spielt zum Auftakt an ihrer neuen Spielstätte Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“. Die Premiere ist ein Vergnügen mit Hintersinn.

Stuttgart - Ein Seufzer, ach! „Ich glaube“, beschimpft der Theaterdirektor sein Personal, „Sie haben keinen blassen Schimmer, worum es in dieser Oper geht.“ Das ist wahr, aber auch nicht schlimm. Im neuen Theatersaal der Jungen Oper, die von dieser Saison an in eigenen Räumen der Spielstätte Nord residiert, herrscht das reine Tohuwabohu. Zwei ziemlich dümmliche Bühnenarbeiter, Xaver und Leopold, öffnen und schließen den Vorhang vor der Bühne ganz nach Belieben, streuen auch mal (Tür auf, da stehen sie mit einer Gitarre in der Hand) „The Lion sleeps tonight“ ein (Tür schnell wieder zu).

Die Handlung wird zum Schmierentheater, das Casting der Sänger für die neue Truppe zum Marktplatz der Eitelkeiten. „Die Oper“, sagt der Direktor, „ist der Inbegriff der Leidenschaft, die Überhöhung unseres Daseins.“ – „Wenn ich in deine Augen seh’, dann schwindet all mein Leid und Weh“, schnulzt ein Sängerpärchen. „Oper“, sagt der Direktor, „sorgt für eine Verfeinerung der Sinne.“ – „Ich bin die erste Sängerin!“, geifern sich drei Damen an. „Kunst“, sagt der Direktor, „ist nicht käuflich“ – aber schwuppdiwupp stopft sich der Dirigent die Geldscheine in die Hose, mit denen eben noch der Bankier Eilert („Mit Noten wie diesen kann man sehr vieles tun“) um sich warf.

Was ist Kunst? Was will sie, was kann sie? Und was will die Junge Oper hier, an diesem neuen Ort? Will sie das Hehre verteidigen, das Künstliche, Weltenthobene? Oder will sie Kunst nahbar machen? Mozarts Singspiel, das 1786 zusammen mit einem Werk von Antonio Salieri („Prima la musica – poi le parole“) in Wien uraufgeführt wurde, ist Theater über Theater: ein Stück, das auf lustige Weise Gattung, Rahmen und Entstehungsbedingungen von (Musik-)Theater parodiert und dabei auch über den Widerspruch nachdenkt, den Gottlieb Stephanie der Jüngere in seinem Libretto zwischen Geschmack und „Kassa“ aufspannt. Ein altes Thema – Goethe hat es auch mal (im Vorspiel zum „Faust“) zum Thema gemacht.

Sprachlich ein bisschen altbacken kommt das Stück heute daher – weshalb es nirgends mehr unbearbeitet gegeben wird. Weil sein musikalischer Anteil außerdem (quantitativ, nicht qualitativ!) mit nur vier Gesangsnummern plus Ouvertüre ziemlich dürftig ist, hat die hier inszenierende Leiterin der Jungen Oper, Elena Tzavara, gemeinsam mit dem Komponisten Henrik Albrecht eine Neufassung erarbeitet, die 2017 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und jetzt für Stuttgart nochmals überarbeitet worden ist.

Nun hört man zwar nicht mehr Sätze wie „Unsere Liebe ist nicht mehr ganz so, wie sie ehemals war, nicht mehr so wechselseitig“, aber der neue Text ist klasse, zeitgemäß, oft richtig witzig (nicht nur bei der Forderung nach „Einigkeit und recht viel Freizeit“), die Handlung gestrafft und umgestellt, Figuren neu definiert. Noch gravierender indes sind die musikalischen Eingriffe: Besetzt ist das Stück nur noch mit elf Musikern des Staatsorchesters, und erweitert wird es um Nummern aus anderen Werken, die Mozart rund um den „Schauspieldirektor“ komponierte. „Die Hochzeit des Figaro“ ist eine Quelle unter vielen, und neu ist neben den hübsch neu betexteten „Ah, vous dirai-je, Maman“-Variationen auch ein Ensemble aus lauter „Zauberflöten“-Zitaten, das für jeden der extrem schrillen Charaktere Passendes bereithält.

Das ist wirklich toll gemacht – und wird bei der Premiere noch zusätzlich gekrönt von einem Überraschungsauftritt des Tenors Matthias Klink. Dessen Don-Ottavio-Arie „Dalla su pace“ will der Theaterdirektor allerdings überhaupt nicht hören. „Aber das ist doch der Opernsänger des Jahres!“, wendet der Dirigent ein – „Pah“, winkt der Chef ab, „klinkt aber nicht so.“

Zu hören ist auch Musik aus anderen Werken Mozarts

So weit geht hier die Selbstironie. Der Witz der Produktion tendiert gelegentlich zum leicht Klamottigen, aber das hält sich in Grenzen und stört nicht weiter. Übrigens ist Klink Schirmherr des Opernstudios der Staatsoper, und dessen Sänger spielen an diesem Abend: sich selbst oder zumindest das Klischee ihrer selbst. Von der Regisseurin ideenreich und mit viel Sinn für präzises Timing angeleitet, machen sie das mit bewundernswerter sprachlicher Genauigkeit und großem spielerischem Talent.

Außerdem fallen unter den Diven, Verrückten, Selbstdarstellern und Abgedrehten auf der Bühne schon jetzt als Sänger auf: Neben Ida Ränzlöv (Frau Pfeil), Moritz Kallenberg (Herr Herz) und Aoife Gibney (Frau Silberklang) glänzen besonders der Bass Michael Nagl als Buff (ein herrlicher Buffo: klar, prägnant, ausdrucksstark) und die beweglich und enorm farbreich gestaltende Sopranistin Carina Schmieger (Frau Herz).

Sie alle füllen, angeleitet von Sebastian Schäfer in der Sprechrolle des Schauspieldirektors, eine unterhaltsame Stunde nach dem Motto: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Und Thomas Guggeis am Pult spielt nicht nur mit, sondern sorgt außerdem dafür, dass der Brückenschlag hier locker gelingt: Die Kunst bleibt Kunst, kommt aber ausgesprochen nah. Sie bleibt Kunst, ist aber Vergnügen. Und sympathisch wirkt sie schon, weil sie hier über sich selber lacht. Das Verhältnis zwischen Geschmack und „Kassa“ dürfte also ebenfalls stimmen – selbst ohne die hübschen Seitenhiebe, die sich das Originallibretto auf die Kritiker erlaubt. „Skribler“, denen das Theater eine Karte schenkt, damit das Publikum später ihre Meinung übernimmt, braucht dieses Stück in dieser Fassung wirklich nicht mehr. Kinder über acht Jahren, packt eure Eltern unter den Arm, hört Mozart und amüsiert euch!

Vorstellungen am 3., 15., 19., 20. um 11 Uhr, am 25. Dezember um 15 Uhr sowie im Januar und Februar