Das Theater der Altstadt im Westen zeigt Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ mit Intendantin Susanne Heydenreich in der Titelrolle.
Ein Messer wird gewetzt, gleich zu Beginn, als Helmesberger in Metzgerschürze und Hofbauer mit leerer Blechkasse in Händen sich im Trainspotting üben. Hinter ihnen liegen mannshohe Buchstaben kreuz und quer vor einer umlaufenden Gitterarchitektur mit der Silhouette einer Dachlandschaft. Thomas Morgendorf hat für Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ am Theater der Altstadt des Westens ein vielsagendes Bühnenbild entworfen. Die mobilen Lettern werden zu regelrechten Mitspielern. Bald dienen die beiden Ls als Sitze oder Verkaufstresen, das E wird zum Altar, das Ü zur Richterbank, das G zur Gefängniszelle. Gemeinsam lassen sie das marode Dorf Güllen buchstäblich wieder auferstehen. Dabei wechseln sie je nach Beleuchtung die Farbe. Aus Grau wird goldfarbener Glanz, blutrot durchsetzt.
Wie eine kostbare Puppe
Unter der Regie von Gerhard Weber sprechen auch die Kostüme (Alexandra Bentele) eine klare Sprache. Der Berufsstand der Güllener Bürger ist an allegorischen Symbolen erkennbar. Der Bürgermeister erscheint mit Amtsschlüssel, die Pfarrerin mit Bibel, der Lehrer mit Lineal. Vereint sind alle durch fleckige blaugraue Kleidung. Wie farblos ihr Dasein ist, wird umso deutlicher, als Claire Zachanassian erscheint. Im Rollstuhl zwar, aber mit rötlichem Haar, geschminkten Lippen und funkelndem Schmuck: eine kostbare Puppe. Intendantin Susanne Heydenreich, die am Ende der Saison die Theaterleitung an Christof Küster übergibt, spielt die Titelrolle wie vor dem Tod erstarrt. Nicht nur ihre Seele wurde verletzt, als sie vor 45 Jahren unehelich schwanger aus Güllen vertrieben wurde. Prothesen zeugen davon, dass diese Frau auch körperlich zerstört ist. Der letzte Rest ihrer Menschlichkeit ist ihr Hass. Doch wenn Heydenreich als verbitterte Multimilliardärin in die Ferne schaut, während sie mit Alfred Ill, dem Vater ihres Kindes, über früher spricht, machen ein Seitenblick zurück ins Hier und Jetzt, ein Zucken im Mundwinkel und ein Wimpernschlag deutlich, dass sie mit ihrem Rachefeldzug ihrer eigenen Lebendigkeit auf der Spur ist. Grandios auch, wie Sebastian Schäfer den gealterten Schwerenöter Ill durch die Phasen seiner Selbstgewissheit laufen lässt. Seinen angeordneten Tod hält er erst für einen schlechten Scherz. Noch vor allen anderen dämmert ihm der Ernst seiner Lage. Wie eine Schlinge ziehen sich die Buchstaben um ihn zusammen, als er fliehen will und sich selbst im Weg steht. Dann nimmt er sein Schicksal an, auch wenn ihm die Angst vor dem Sterben sichtbar in den Knochen steckt.
Die Gier durchdringt alles
In der mit wenigen Abstrichen (es fehlen Toby und Roby) texttreuen Inszenierung, die am Samstagabend ihre Premiere feierte, treten neben den Hauptdarstellern sieben weitere Personen als Güllener Bürger auf. Einige mehrfach besetzt. Uwe-Peter Spinner überzeugt als Butler Boby genauso wie als Hofbauer, dessen Gesinnung sich stets an der allgemeinen Stimmung orientiert. Markus Angenworth zeigt als Lehrer im Gewissenskonflikt Format. Annette Mayer mimt eine scheinheilige Pfarrerin. Ihre Doppelzüngigkeit hat sie mit dem Bürgermeister gemein, den Reinhard Froboess bei aller Entschlossenheit zum Äußersten etwas zu harmlos erscheinen lässt. Das gilt noch mehr für Jens Waggon und für Ruben Dietze, deren Figuren allzu illustrativ bleiben. Dorothea Förster, die als Pfändungsbeamtin, Ills Tochter und Journalistin recht hölzern wirkt, gelingt als Loby an der Seite von Koby (Annette Mayer) eine ulkige Gruselnummer.
Überhaupt hat Regisseur Weber dem Komödiantischen einigen Raum gegeben, ohne den Tragödienstoff zu verflachen. Ganz im Gegenteil. Dass die Entourage der Titelheldin eigenartig unnatürlich wirkt, macht deutlich, wie weit deren Macht reicht. Die Zerbrochene hält sich mit Hilfe ihres Geldes Menschen als Kunstfiguren. Diese schleichende Vereinnahmung macht sich auch in Güllen breit, sichtbar in gelben Schuhen, gelben Krawatten und neuen Pelzmänteln. Die Gier durchdringt bald alles. Im Suff kommt der Lehrer zur Einsicht: „Ach, Ill. Was sind wir für Menschen.“
Der Besuch der alten Dame: Karten gibt es noch für die Vorstellungen am 29. Februar, 11 Uhr und 19.30 Uhr, und am 10. März, 17 Uhr. Dann wieder ab dem 7. Juni.