Wie kommt man von der Familie los, wenn sie einen nicht loslassen will? Das zeigt das Alte Schauspielhaus jetzt in Joe DiPietros Komödie „Was zählt, ist die Familie!“.
Familie – was ist das eigentlich? Ein Hort des Glücks? Oder die Hölle? Etwas, das man sucht? Oder vielleicht auch etwas, das man abstreifen möchte?
So ist es jedenfalls in einer neuen Theaterinszenierung in Stuttgart: „Was zählt, ist die Familie!“ von Joe DiPietro. Der 29-jährige Nick Christano müht sich nach Kräften, sich von seinen beiden Großelternpaaren zu befreien; doch die kleben an ihm wie Pech und Schwefel. Im Alten Schauspielhaus hat Tom Grasshof (Ausstattung) sehr gekonnt ein amerikanisch-italienisches Interieur der 1990er Jahre auf die Bühne gestellt. Die Familie Christano/Gianelli stammt ursprünglich aus Italien, dafür stehen das Kruzifix an der Wand, die rot-weiß karierte Esstischdecke, eine Madonna zwischen zwei Kerzen und ein italienisches Fähnchen. Die Großeltern von Nick, von ihnen natürlich Niccolò genannt, sind Einwanderer der ersten und zweiten Generation und kreisen um drei eherne Orientierungspunkte: Familie, Pflichttreue und gutes Essen.
Der Großvater merkt, dass sich hier was ändern muss
Letzteres ist ein Running Gag in DiPietros Komödie, denn Großmutter Aida (souverän: Susanne Heydenreich) drängt der Familie geradezu manisch alle paar Minuten italienische Speisen auf. Peter Uwe Spinner spielt ihren Gatten Frank wandlungsfähig als erst strengen, später aber einsichtigen Großvater, und Barbara Krabbe und Reinhold Weiser überzeugen als das andere Großelternpaar.
Die Großväter waren Arbeiter. Nick ist Marketing-Manager und eröffnet seinen Omas und Opas, dass er nach Seattle umziehen möchte, um dort eine höhere berufliche Position anzutreten, tausende Kilometer von der in New Jersey lebenden Familie entfernt. Die Großeltern sind schockiert und stoßen mehrfach empört den Ruf „tengo famiglia“ („Ich habe eine Familie“) aus. Sie schrecken auch nicht davor zurück, ihrem abtrünnigen Enkel eine potenzielle Heiratskandidatin anzudienen, damit er in den Fängen der Familie bleibt. Dumm nur, dass die höfliche Krankenschwester Caitlin (Anne Leßmeister) von Nick nichts wissen will.
Der Zuschauer kommt ins Grübeln: Und wie sieht es bei mir aus?
Das alles kommt pointenreich daher und ist doch zugleich ein Lehrstück über die Tücken der Lebensform Familie. Eltern (in diesem Fall: Großeltern) möchten über alles bestimmen, ihre Nachkommen in die Geleise ihrer Familienideologie zwingen. Dagegen steht der unbedingte Drang des Kindes (hier: des Enkels) nach Autonomie, nach Befreiung von familiären Fesseln. Nikolaij Janocha verkörpert den nach Unabhängigkeit lechzenden Nick ganz wunderbar als lieb und nett wirkenden Enkel, der zugleich sarkastisch seine übergriffigen Großeltern beleuchtet: „Wie konnte ich von diesen Leuten abstammen?“
Der Schauspielbühnen-Intendant Axel Preuß hat die Komödie so inszeniert, dass Pointen und ernstere Einsichten im Gleichgewicht bleiben. Man erwartete als Zuschauer eine Komödie und wurde nicht enttäuscht, ist aber überrascht, dass die konflikthaften Dialoge von Enkel und Großeltern anregen, über eigene Familienbefindlichkeiten zu grübeln. Besseres lässt sich über einen Theaterabend nicht sagen.
Termine Vorstellungen bis zum 1. Juni