Fernsehabend auf der Abfallinsel: Da staunen die Touristen (links: Elif Veyisoglu und Martin Theuer), und die Müll-Malocher freuen sich (Alessandro Scheuerer, rechts, und Kim Patrick Biele). Foto: Björn Klein

In Magdalena Schrefels absurdem Realdrama „Keinland“ ist an vielen Stellen der Erde kein Land mehr, weil der Meeresspiegel gestiegen ist. Laura Tetzlaff hat das auf einer Müllinsel spielende Stück an der Esslinger Landesbühne inszeniert.

Ja wen haben wir denn da? Zwei nette alte Bekannte treffen wir in Magdalena Schrefels „Keinland“, zwei Beckett-Jungs, die ihre glücklichen Tage auf einer Insel der unseligen Abfälle verbringen, es aber nicht merken. Weil’s für sie (und für uns) einfach normal ist, dieser riesige qualmende Müllhaufen im Ozean. Hier warten die Müll-Malocher Adrian und Jesolo auf die Fähre, die neue „Ladung“ bringt, wie Wladimir und Estragon auf Godot. Und wie Hamm und Clov sind sie Spieler eines Endspiels, nur mit abgeflachter Hierarchie. In Laura Tetzlaffs Inszenierung im Podium des Esslinger Schauspielhauses schneidet Kim Patrick Biele seinem Adrian die intellektuelle Überlegenheit mit smartem Lächeln ins Gesicht. Indes ist Jesolo, der große Naive, bei Alessandro Scheuerer vor allem der große Kreative mit Sehnsucht und Ideen, während seinem Kollegen das Lächeln zusehends ratlos gefriert.

 

Eine Beckett-Imitation also? Nein. Eine Anwendung. Autorin Schrefel benützt das Theater des Absurden zur Darstellung der Absurdität unseres ökologischen Realdramas. Die Szenerie ist nicht symbolisch wie beim Altmeister, sondern dokumentarisch: Das Dreck-Eiland existiert wirklich, heißt Thilafushi und wächst seit 1992: Es ist die künstliche Müllinsel der Malediven, gespeist vom Abfall des Massentourismus, Endlager von Batterien und Elektroschrott; ein gigantischer Giftcocktail im Meer, der über Fische und die Nahrungsmittelkette zurückfließt in die Mägen seiner Verursacher.

Willkommen im Müll-Paradies: Kim Patrick Biele als Adrian (links) und Alessandro Scheuerer als Jesolo. Foto: Björn Klein

Weitaus ekliger als das, was dem Touristenpaar passiert, das es unversehens auf die Insel verschlägt. Wo die Läden leer und fast alle Bewohner im Abfallrauch erstickt sind, servieren nur die zwei letzten Müll-Mohikaner ein leckeres Abendmahl: Rattenschaschlik. Die Dame kotzt auf möglichst vornehme Weise ins Taschentuch. In Tetzlaffs Regie spielen Elif Veyisoglu und Martin Theuer als propere Drecksau-Touris – in feinem Zwirn, leere Plastikflaschen um sich schmeißend – die komödiantischen Steilvorlagen voll aus: ein reifes Paar mit Talent zu kindischer Albernheit, das slapstickmäßig im Müllsacksofa versinkt oder den schlanken Fuß macht auf der Insel, wo keine Fähre mehr fährt, man aber den beiden das „Bett“ abluchsen kann, das mal ein aufblasbares Boot war. So wie das „Haus“ ein Auto. Denn die Dinge sind allesamt Müll, aber wenn’s einem dreckig geht, doch noch zu etwas nutze. Und so heißen sie dann auch. Eine prekäre Begriffsverwirrung – und eine noch prekärere Instrumentalisierung der Sprache: Man benennt die Dinge so, wie sie einem nutzen, man kann sich nicht mehr verständigen über das, was ist – und was es ist. In Schrefels Pointen blitzt politische Sprachkritik auf.

Sagen, was Sache ist, ermöglicht im Stück der Sprung in die Zukunft: Ein Guide (Franziska Theiner als eloquente Museumspädagogin) informiert uns, dass kein Land mehr ist, wo noch im 21. Jahrhundert die Malediven, die Niederlande, Florida, Venedig etc. waren. „Keinland“ zeigt „135 Bilder einer Ausstellung“ – 135 Kurzszenen aus der Vergangenheit der Müllinsel, die am längsten im ganzen Archipel dem klimabedingt steigenden Meeresspiegel trotzt: Plastikmüll ist der Menschheit wahrer Ewigkeitswert. Und „Keinland“ ihr fiktives Geschichtsmuseum. So werden die Abfallrollwagen auf Christian Kleins ordnungsgemäß vermüllter Bühne zwar mal wie Vitrinen beleuchtet. Aber den Exponatcharakter der 135 Short Cuts ignoriert die Regisseurin, sie lässt durchspielen. Mit dem Vorteil, das allzumenschliche Verhältnis im menschlichen Verhängnis entwickeln zu können. Da erkennt etwa Jesolo faszinierten Blicks die Frau in der Frau, die sich, so angestarrt, in stummem Schreck und stiller Pein am Bein des Gatten festhalten muss.

Utopie mit Ironie

Das Menschheitsverhängnis selbst ist in Schrefels Rückblick auf die nähere Zukunft aufgehoben in einer zu totaler Nachhaltigkeit geläuterten Zivilisation. Eine Utopie – mit Ironie: Laut einer leider gestrichenen Schlussvolte interessiert sich nur noch eine einzige Besucherin für „Keinland“.

Die nächsten Vorstellungen: 8. und 25. April, 3. und 7. Mai, 25. und 28. Juni, 4. und 10. Juli im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses.