Im Preisträgerfilm „Democracy“ von David Bernet kämpft der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht (Foto) um den Datenschutz. Foto: Indi/Dieter Stürmer

Mit der Verleihung des Deutschen Dokumentarfilmpreises ist das neue SWR-Doku-Festival zu Ende gegangen. Die Filmemacher haben die Bühne genutzt, um auf ihre ökonomische Realität aufmerksam zu machen. Die ist nicht rosig.

Stuttgart - Ein schönes und wichtiges neues Festival – so lautete ziemlich einhellig am Rand der Schlussveranstaltung am Freitagabend die Resonanz auf das SWR-Doku-Festival. Wichtig deshalb, weil ausgerechnet die Verleihung des mit 20 000 Euro dotierten Deutschen Dokumentarfilmpreises von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde, war sie doch an kein Festival gebunden. Den Preis hat dieses Jahr David Bernets „Democracy – Im Rausch der Daten“ erhalten, eine Ganz-nah-dran-Studie des Gesetzgebungsprozesses in Brüssel, die auch die Jury des Leserpreises der Stuttgarter Zeitungzum Favoriten erkor. Nun hatte man die Chance, „Democracy“ im Programm und am Preisverleihungsabend noch einmal auf der großen Leinwand zu sehen - wie sich das für Träger eines Filmpreises gehört.

Auch Lutz Gregors „Mali Blues“ über Musiker in einem von Islamisten terrorisierten Land, der Gewinner des mit 5000 Euro dotierten Preises der Norbert-Daldrop-Förderung für Kunst und Kultur, und Susanne Regina Meures’ „Raving Iran“ über die kriminalisierte und in den Untergrund gedrängte Techno-Szene im Mullah-Staat, haben die große Präsentation verdient. Welche Mühe solche Projekte machen, wie prekär oft die Arbeitsbedingungen der Regisseure und Autoren sind, darüber tauscht sich die Szene seit Jahren auf dem vom Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms organisierten Branchentreffen Dokville aus. Das fand auch dieses Jahr statt, nun parallel zum SWR-Doku-Festival, aber die Debatte über die Arbeitsbedingungen blieb nicht mehr branchenintern.

Eine überraschende Bilanz

Die Regisseure und Autoren der zwölf um den Deutschen Dokumentarfilmpreis konkurrierenden Werke hatten sich nämlich zum Kassensturz entschlossen. Sie verglichen ihre Arbeitsstunden und Entlohnungen für die in Stuttgart gezeigten Filme. Ihre Bilanz, die sie mit der Forderung nach Änderung der Verhältnisse als Überraschungspunkt der Preisverleihung präsentierten: Im Durchschnitt haben sie 426 Arbeitstage in einen Film gesteckt, ein Arbeitstag umfasste zehn Stunden und mehr, und als Einnahmen pro Tag vor Steuer blieben ihnen 120 Euro. Zum Vergleich: Ein Cutter erhält rund 300 Euro, ein Kameramann schon mal 400 Euro pro Arbeitstag. „Es kann doch nicht sein“, schimpft der Regisseur Lutz Gregor („Mali Blues“), „dass wir als Urheber und Antreiber des ganzen Projekts weniger bekommen als die Leute, die durch uns erst Jobs erhalten.“

Der Regisseur David Bernet („Democracy“) will das nicht nur als Entlohnungsungerechtigkeit verstanden wissen. Er erkennt ein weitreichendes strukturelles Problem: „In allen künstlerischen Bereichen herrscht immer Wettbewerb. Aber man muss den Wettbewerb auch aushalten können. Man muss Spielraum haben. Ist das nicht der Fall, dann hat man kein professionelles Filmschaffen. Dann hat man es beim Dokumentarfilm bald mit einem Hobbygenre zu tun."

Wenig Chancen auf Berufsausübung

Nicht einmal die Nominierten zum Deutschen Dokumentarfilmpreis, die der mit „Beuys“ selbst im Wettbewerb stehende Andres Veiel („Die Überlebenden“, „Black Box BRD“, „Die Spielwütigen“) selbstironisch „die elitäre Spitze“ nennt, können sicher sein, sich ganz auf künftige Filmprojekte konzentrieren zu können. Auch sie müssen eventuell die Arbeit unterbrechen, um mit anderen Jobs Geld zu verdienen, indem sie zum Beispiel den Film eines Kollegen schneiden oder Werbung machen.

Dem Gros der Dokumentarfilmer aber geht es noch weit schlimmer, weshalb sich die Frage nach dem Sinn eines ganzen Systems stellt. „Wenn es nur noch für ganz wenige Chancen auf die Berufsausübung gibt, kann man die Ausbildung der Dokumentarfilmer an den vielen Filmschulen auch einstellen“, schlussfolgert Veiel. Zu den Nominierten gehören auch Erol Papic und Valentin Kemner, die es gleich mit ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, mit „Genkingen“, bis in die Endrunde des Wettbewerbs geschafft haben. So konzentriert von den Problemen der vermeintlich längst fest etablierten Kollegen zu hören ist für sie eine Festivalerfahrung ganz eigener Art: „Da geht man schon ein wenig in die Knie“, sagt der 1974 in Pforzheim geborene Papic.

Sonderlob für den Südwesten

Ganz wichtig ist den Dokumentarfilmern, dass ihre Forderung an die Aufträge vergebenden Fernsehsender nicht als die schlichte nach mehr Geld pro Film verstanden wird. „Dann werden eben weniger Langfilme gemacht, und das einzelne Werk bekommt mehr Geld, man fördert dann nur noch Leuchtturmprojekte“, warnt Veiel. Der Regisseur Stefan Eberlein („Parchim International“) will das Anliegen richtig verstanden wissen: „Es geht um eine generelle Umschichtung von Geldern, der Dokumentarfilm muss insgesamt mehr Geld bekommen.“ Und wieder geht ein Sonderlob in den Südwesten. Der SWR, so die einhellige Erfahrung, biete die größte Unterstützung, sei am offensten für Projekte, tue am meisten für den Dokumentarfilm.