Regisseur Michael Haneke (Mitte) freut sich mit der französischen Schauspielerin Emmanuelle Riva und Altstar Jean-Louis Trintignant über die Goldene Palme für das Drama „Liebe“. Foto: dpa

Goldene Palme für Michael Haneke – Selten war ein Triumph bei Filmfestspielen so einmütig ersehnt worden .

Cannes – „Das weiße Band“ hat ihm 2010 die Goldene Palme gebracht. Nun stand der Österreicher Michael Haneke mit „Liebe“ erneut ganz oben. Haneke war mit seinem Drama um ein altes Ehepaar, dessen Leben durch einen Schlaganfall durcheinander gerät, auch Publikumsliebling.

Herr Haneke, herzlichen Glückwunsch zu diesem besonderen Erfolg. Wiegt dieser Triumph für Sie noch schwerer als Ihre erste Goldene Palme vor zwei Jahren?
Man freut sich in dem Moment, wo man sie bekommt, aber dann ist so ein Preis auch wieder vergessen. Ich laufe jedenfalls nicht ständig mit der Palme in der Hand herum. Wichtig sind solche Preise, weil die Popularität steigt und sich die Arbeitsbedingungen für den nächsten Film verbessern. Wenn man durch seine Bekanntheit beim Metzger ein besseres Stück Fleisch bekommt, ist das natürlich auch nicht schlecht. (lacht)

Ein Film über das Sterben, obendrein ein Kammerspiel, das gilt eigentlich als Kinogift  . . .
Das wurde mir gesagt, ja. Aber im Fernsehen wurde dieses Thema in den vergangenen Jahren schon häufig behandelt. Gäbe es dafür beim Publikum kein Interesse, wären solche Stoffe schnell aus dem Programm gestrichen. Auch im Kino gab es dieses Thema bereits mehrfach.

Die bisherigen Filme dazu waren freilich meist viel rührseliger als Ihre „Liebe“ . . .
Es ist immer eine Qualitätsfrage, wie ernst man etwas nimmt. Für mich ist das ein sehr großes und wichtiges Thema, das man auf einer gewissen Höhe behandeln muss. Kitsch oder Klischees wären der Tod jeder Auseinandersetzung damit. Wir haben uns bemüht, Rührseligkeiten so weit es geht zu vermeiden.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Wie in fast jeder Familie gab es auch bei mir Fälle, die mit dieser Thematik zu tun haben. Das hat mich persönlich sehr berührt und gab den Anstoß zu diesem Film. Dieses Gefühl einer Empörung, von etwas gekränkt oder gestört zu sein, ist häufig der Ausgangspunkt, sich künstlerisch damit auseinanderzusetzen.

Dient diese Auseinandersetzung auch dazu, die eigenen Ängste besser zu bewältigen?
Das wäre überinterpretiert. Es stimmt insofern, dass jeder Film in gewisser Weise eine Angstbewältigung darstellt, ebenso wie jede Arbeit eines Schriftstellers. Aber für mich war das mit Sicherheit nicht der unmittelbare Zweck, diesen Film zu machen.

Der Zuschauer stellt sich nach dem Film die Frage, ob er ähnlich wie der Held dem ausweglosen Leiden seiner geliebten Person ein Ende bereitet – wie würden Sie selbst darauf antworten?
Gar nicht! (lacht) Der Sinn dieses Films besteht darin, dass sich die Zuschauer mit dieser Frage beschäftigen. Wenn der Autor dazu eine Gebrauchsanweisung liefert, wäre das kontraproduktiv.

Glauben Sie, die Zuschauer haben nach Ihrem Film mehr Angst, oder fühlen sie sich getröstet?
Mehr Angst wäre nicht der Sinn der Sache. Das Tröstliche bei einer Tragödie ist ja, egal ob im Buch oder im Kino, dass man das Gefühl bekommt, mit seinen eigenen Problemen nicht ganz allein zu sein, sondern man erlebt, dass es anderen genauso geht. Bei mir haben sich inzwischen jedenfalls schon viele Leute bedankt, weil sie dieses Thema genau so aus ihrer eigenen Familie kennen.