Michael Curry auf der Kochzeit von Harry und Meghan. Foto: dpa

Der Prediger Michael Curry hat bei der royalen Hochzeit von Harry und Meaghan die Welt erstaunt. Nun fragen sich vom Bischof bis zum Stadtdekan die Theologen der Landeskirche: Lässt sich das auf hiesige Kanzeln übertragen?

Stuttgart - Kirche muss nicht langweilig sein, schon gar nicht belanglos. Das lehrte Michael Curry zuletzt bei der royalen Hochzeit von Harry und Meghan die Welt. Der anglikanische Prediger aus Chicago erschütterte die Welt mit seiner Liebesbotschaft. Rund einer Milliarde Menschen am Fernseher und ein paar handverlesener Gäste rief er von der Kanzel der St. George Chapel auf dem Gelände von Schloss Windsor zu: „Stellt es euch in dieser ermüdeten Welt vor. Die Liebe macht den Weg frei, selbstlos, opferbereit und erlösend. Wenn es auf die Liebe ankommt, dann muss kein Kind auf dieser Welt mehr hungrig zu Bett gehen. Und Armut wird der Vergangenheit angehören.“

Als Siegfried Zimmer, Star-Prediger bei Gospelhaus, „diesen Paradiesvogel“ auf der Kanzel zappeln sah, war er wie viele „völlig verblüfft“. Zimmer hatte einen getragenen Vortrag erwartet. Stattdessen überraschte ihn ein „lebendiger Charismatiker, dem es völlig egal war, wer da sitzt“. Mit anderen Worten: Curry sei herrlich unangepasst gewesen.

Ähnlich sieht es auch Prälatin Gabriele Arnold: „Das Beeindruckende ist, dass er bei der königlichen Hochzeit auf die Geschichte der Sklaven sowie deren Elend eingegangen ist und trotzdem die Macht der Liebe beschwor.“ Weiter meint die Regionalbischöfin: „Liebe ist eine göttliche Macht, die aber ganz ohne Gewalt auskommt. Sie ist das größte Geschenk Gottes an uns und durch sie verändert Gott die Menschen und somit die Welt. Das ist die Botschaft Jesu. Und wenn wir alle so leben und lieben würden, wäre die Welt eine Heimat für alle.“

Der Geist des Evangeliums

Wenn alle so leben – und in der evangelischen Kirche alle so predigen – würden, sähen die Kirchen am Sonntag vermutlich voller aus. Doch Landesbischof Frank Otfried July hat bei aller Begeisterung für Michael Curry Bedenken: „Ich freue mich über jede geistesgegenwärtige Predigt, die Menschen anspricht, ob weltweit im Fernsehen übertragen oder im kleinsten Andachtsraum. Und ich habe mich besonders gefreut, dass bei solch einem an sich sehr zeremoniellen Anlass in dieser Lebendigkeit der frische Geist des Evangeliums zur Sprache gekommen ist.“

Aber der Predigtstil lasse sich wohl nicht auf hiesige Kanzeln übertragen: „Es hängt immer von der Mentalität der Menschen ab: manche finden einen derartigen Predigtstil befremdlich und können da nicht so andocken. Gut, dass wir viele begabte Predigerinnen und Prediger in unserer Landeskirche haben, die mit ihrem je eigenen Stil die gute Nachricht von Jesus Christus weitersagen“, so July. Und: „Dass manche von dieser Predigt überrascht sind, zeigt auch, dass sie sich wohl eine falsche Vorstellung von Predigten machen.“ Stuttgarts Regionalbischöfin Gabriele Arnold sieht es ähnlich: „Die Predigt kommt aus der amerikanischen Tradition - und das ist sicher nicht eins zu eins für uns übertragbar. Das Feuer brennt in Württemberg anders, aber auch hier brennt es.“

Predigten brauchen den V-Effekt

Tatsächlich ist Michael Curry selbst für anglikanische Verhältnisse eine außergewöhnliche Erscheinung. „Selbst in den USA ist er nicht Standard. Aber es gibt solche Prediger“, sagt Laures Prince-Schrote von der anglikanischen Kirche in Stuttgart in der Olgastraße, „aber seine Leistung war schon herausragend. Er hat es auf den Punkt gebracht“.

Dennoch kommen manche Christen hierzulande ins Grübeln. Könnte ein Schuss Curry der sonntäglichen Predigt womöglich die nötige Würze verleihen? Der evangelische Stadtdekan Sören Schwesig antwortet salomonisch: „Ich glaube, es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass hier nur etwas abgelesen wird.“ Andererseits sei Currys „Charisma ein Geschenk, das nicht jeder hat“. Dennoch müsse jede Predigt ein „Lebenszeugnis“ sein, das „Menschen begeistert“.

Wie so etwas gelingen kann, zeigt Siegfried Zimmer regelmäßig in der Friedenskirche. Zusammen mit dem Chor Gospel im Osten lockt er bis zu 700 Besucher in den Gottesdienst. Dabei hat auch Zimmer seinen eigenen Stil entwickelt. Er nennt es den V-Effekt – angelehnt an Bertolt Brechts Kunst der Verfremdung. „Die Strategie ist, das scheinbar Selbstverständliche in einer Predigt so zu verfremden, dass es die Menschen überrascht“, erklärt der Theologie-Professor. Damit schafft er es, wie Michael Curry Menschen zu verblüffen und in seinen Bann zu ziehen. Oder, wie Zimmer es nennt: „Das Evangelium zum Leuchten zu bringen.“