Die Forderung nach einer neuen Praxisgebühr entfacht heftige Debatten zwischen Arbeitgebern, Bürgern und Politik. Was Stuttgarter Mediziner dazu meinen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat eine neue Praxisgebühr vorgeschlagen. Angesichts steigender Finanzprobleme der Krankenkassen, solle eine so genannte Kontaktgebühr Patienten davon abhalten, unnötig häufig Arztpraxen aufzusuchen. Zur Höhe einer möglichen Praxisgebühr gibt es ebenfalls schon Überlegungen – in Frankreich sind es immerhin 30 Euro, die nur teilweise rückerstattet werden.
Der Vorstoß hat heftige Debatten ausgelöst: Während Befürworter Einsparungen sehen, warnen Kritiker vor sozialer Härte und Gesundheitsrisiken. Was sagen Stuttgarter Ärzte dazu? Kann eine Gebühr, die bei jedem Arztbesuch fällig werden soll, wirklich das „Ärzte-Hopping“ begrenzen?
Forderung: Keine Praxisgebühr beim Hausarzt
Jürgen de Laporte, Hausarzt in Esslingen und Präsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, sieht durchaus, dass das System überlastet ist, dass Reformen nötig sind. Eine Praxisgebühr könne „sehr anspruchsvolle Patienten einbremsen, die ständig zum Arzt gehen“ und Kapazitäten unnötig belasten.
„Andererseits überfordert so eine Gebühr sozial Schwache finanziell.“ Sie gingen dann seltener zum Arzt, selbst wenn ein Besuch zwingend oder eine Vorsorgeuntersuchung nötig wäre. De Laportes Forderung daher: Sofern eine Praxisgebühr kommt, sollte diese zumindest bei Hausärzten nicht fällig werden.
10 Euro Praxisgebühr von 2004 bis 2012
Zu Zeiten der früheren Praxisgebühr von 10 Euro (2004-2012) war man mit einer Überweisung dagegen von der Praxisgebühr beim Facharzt befreit, während man beim Hausarzt auf jeden Fall einmal im Quartal zum Geldbeutel greifen musste, wenn man ihn konsultierte.
Insgesamt glaubt de Laporte aber nicht, dass die Einführung einer Gebühr die Lösung sein kann: „Das Hauptproblem ist doch, dass es uns an einer Steuerung der Patienten fehlt.“ Statt Gebühren brauche es daher ein starkes Primärarztsystem, sprich: „Der erste Ansprechpartner muss der Hausarzt sein. Dort gibt es dann die Überweisung an den Facharzt, sofern nötig.“ Nur so könne man der „Verstopfung der Facharztpraxen samt monatelanger Wartezeiten auf Termine“ entgegen wirken.
Als weiteres großes Problem sieht de Laporte die fehlende Gesundheitskompetenz der Patienten: „Die Fähigkeit, Symptome selbst verantwortungsbewusst einzuschätzen, muss daher gestärkt werden.“ Der Hausarzt nimm aber auch seine Kollegen in die Pflicht und kritisiert: „Wir müssen auch von Routine-Wiedereinbestellungen ohne dringende Indikation wegkommen.“
Hausarzt: Praxisgebühr „steuert gar nichts“
Sein Kollege Markus Klett, Allgemeinmediziner und Diabetologe in Stuttgart-Bad Cannstatt, mahnt unterdessen: „Schon jetzt sind in Stuttgart 64 Hausarztsitze leer.“ Eine Praxisgebühr sei nicht durchdacht, sie ändere nämlich nichts an einem der großen Probleme: dem Ärztemangel. „Und mit 10 oder 20 Euro steuert man auch gar nichts“, ist sich der Hausarzt sicher.
Im Gegenteil. „Der Aufwand, den wir mit Patienten tagtäglich in der Praxis haben, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, erläutert der Vorsitzende der Ärzteschaft Stuttgart. Auch die Grundstimmung der Patienten habe sich verändert: „Die Menschen sind aggressiver geworden. Was glauben Sie, mit welchem Unmut wir bei einer Gebührenerhebung kämpfen müssten?“, so Klett. Das führe zu noch mehr Diskussionen und Aggression – und zu Zeitverlust, den man sich angesichts der vollen Wartezimmer nicht leisten könne.
Praxisgebühr seit 2012 abgeschafft
„Dazu kommen finanzielle Belastungen, die in den letzten Jahren enorm zugenommen haben“, kritisiert Klett. „Unter anderem durch die Digitalisierung.“ Ein Beispiel: Er habe zehn Server in seiner Praxis. Diese müsse er alle vier Jahre umfänglich warten lassen: „Das kostet mich pro Server jedes Mal 6000 Euro.“ Weiteren Aufwand, weitere Bürokratie, etwa durch die Praxisgebühr, lehnt Klett daher ab. „Wenn nicht gegengesteuert wird, schließen in den nächsten Jahren zahlreiche Praxen wegen Insolvenz.“
Vor gut 20 Jahren hatte es schon mal eine Praxisgebühr gegeben. Von 2004 an wurden beim ersten Arztbesuch im Quartal zehn Euro fällig. Das erhoffte Ziel auch damals: dass weniger Menschen wegen Bagatellfällen zum Arzt gehen. 2012 wurde die Gebühr wieder abgeschafft. Sie hatte sich nicht bewährt.