Mit grünen Bändern werden die Sichtachsen des Lastwagenfahrers simuliert. Foto: Ines Rudel

Die Dekra Stuttgart besucht mit einem Lastkraftwagen eine Grundschule in Schorndorf und erklärt, welche Gefahr von einem solchen LKW ausgehen kann.

Schorndorf - Nichts zu sehen. Kein einziger Mensch. Dabei haben sich mehr als 20 Kinder direkt vor den großen, weißen Lastwagen gestellt. Nur manchmal taucht eine rote Kappe auf, wenn einer der Jungen meint, ein wenig Quatsch machen und hochhüpfen zu müssen. Doch von oben, von der Fahrerkabine aus, ist die gesamte Klasse nicht zu sehen.

Dienstagnachmittag, der große Lastwagen steht für die Aufklärungsaktion zum „Toten Winkel“ auf dem Schulhof der Reinhold-Maier-Schule in Schorndorf-Weiler bereit. Die beiden Dekra-Mitarbeiter Julian Argauer und Tim Klein haben ihn mitgebracht, um im Rahmen der Aktion des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer auf die Gefahren rund um einen Lastwagen aufmerksam zu machen. Jede Dekra-Niederlassung in Deutschland veranstaltet dieser Tage solch eine einmalige Aktion – in der Region Stuttgart ist die Wahl auf die Grundschule in Weiler gefallen.

Mit der Fellbacher Verkehrspolizei geübt

Und das zu einem perfekten Zeitpunkt. Denn die Kinder der 4a und 4b sind gerade dabei, ihren Fahrradführerschein zu machen. Bereits an drei Vormittagen haben sie dazu mit zwei Präventionsbeamten der Verkehrspolizei aus Fellbach geübt. Nächste Woche steht die praktische Prüfung an.

Was genau dieser „Tote Winkel“ sein soll, das erleben die Schüler und Schülerinnen hautnah. Grüne Bänder sind von dem Lastwagen aus über den gesamten Schulhof gespannt. Sie zeigen die Sichtachsen des Lastwagenfahrers an. Alles, was unter den Bändern ist, kann der Fahrer nicht sehen. Und das ist ganz schön viel. „Viele Unfälle passieren, weil LKW-Fahrer Radfahrer oder Fußgänger beim Rechtsabbiegen übersehen“, erklärt Julian Argauer den Kindern. Deswegen sollen sie die Regel beachten: „Fahre niemals rechts vorbei!“

Im Klassenzimmer erklären die Dekra-Prüfer erst einmal im Trockenen, was ein Lastwagenfahrer sehen kann – und was nicht. Wichtig dabei ist: „Wenn ihr ihm in die Augen sehen könnt, dann kann er auch euch sehen.“ Tim Klein zeichnet eine Kreuzung an die Tafel. Ein Lastwagenfahrer will nach rechts abbiegen. Daneben steht auf dem Fahrradweg ein Radfahrer und möchte geradeaus weiterfahren. „Wer hat Vorfahrt?“ fragt der Mann mit dem grünen Hemd. „Der Radfahrer“, sagt die neunjährige Charlotte. Stimmt. Das Problem aber an der Situation: Der LKW-Fahrer sieht den Radler nicht. „In solch einer Lage solltet ihr nicht auf eure Vorfahrt bestehen, sondern lieber stehen bleiben – wenn nicht sogar weiter vom LKW weichen“, rät Julian Argauer. Denn oft sind es die Hinterräder oder gar der Anhänger, der beim Abbiegen einen Radfahrer oder Fußgänger aus Versehen überfährt. „In dieser Situation passiert am meisten“, betont Argauer.

Gut war’s, aber zu kurz

Damit die Kinder ein Gefühl dafür bekommen, ab wann sie für den Fahrer unsichtbar sind, geht es im Anschluss hinaus auf den Schulhof zum mitgebrachten Lastwagen. Je zwei Kinder dürfen gleichzeitig die steilen Stufen bis zu dem Fahrersitz in zwei Meter Höhe erklimmen. „Oh, ist das hoch“, sagt Chiara und lässt sich die Stufen hochhelfen. Charlotte und Selina stehen schon erwartungsfroh bereit. „Ich sehe Linus“, ist aus dem Fahrerhaus zu hören. Gespannt lassen sich die Kinder von Tim Klein die Sichtachsen erklären, fragen nach der Hupe und der Sonnenblende. Dann steigen sie wieder hinunter. „Gut war es dort oben“, sagt Leon später. Das sieht auch Charlotte so – „nur viel zu kurz“.

Technische Lösungen könnten Leben retten

Abbiegeassistenten Die Unfallforschung des Verbands der Deutscher Versicherer schätzt, dass etwa ein Drittel der im Straßenverkehr getöteten Radfahrer bei Abbiegeunfällen durch rechtsabbiegende Lastkraftwagen ums Leben kommt. Be reits serienreif entwickelte technische Lösungen können LKW- oder Busfahrer warnen, wenn beim Abbiegen Fußgänger oder Radfahrer gefährdet würden, so dass diese eine Notfallbremsung einleiten können. Doch vor allem in älteren Fahrzeugen sind diese oft nicht vorhanden.

Aktion
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist überzeugt davon, dass Abbiegeassistenten die Zahl der tödlichen Unfälle mit Fußgängern oder Radfahrern deutlich reduzieren kann. Doch die gesetzlichen Voraussetzungen seien international geregelt. Deshalb habe das Ministerium die „Aktion Abbiegeassistent“ ins Leben gerufen. Das Ziel sei, alle nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die verpflichtende Einführung zu beschleunigen.

Umsetzung
Das Ministerium will mit gutem Beispiel vorangehen: Bis 2019 sollen alle Nutzfahrzeuge der nachgeordneten Behörden ausgerüstet sein. Mehrere Handels- und Logistikunternehmen haben ähnliche Selbstverpflichtungen erklärt.