Die Ermittler haben es im Onlinebereich mit riesigen Datenmengen zu tun. Foto: dpa/Arne Dedert

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die wegen kinderpornografischer Videos oder Bildern ins Visier der Polizei geraten, steigt massiv – eine Präventionskampagne soll aufklären.

Fällt das Stichwort Kinderpornografie, so gilt in der Regel der erste Gedanke der Pädophilie, dem sexuellen Interesse an Kindern. Was dem Polizeipräsidium allerdings angesichts durch die Decke gehender Ermittlungsverfahren größte Sorge bereite, seien Kinder und Jugendliche, die selbst Bilder und Videos mit kinderpornografischen Inhalte verbreiteten, sagte jetzt der Aalener Polizeipräsident Reiner Möller bei einer extra zu diesem Thema einberufenen Pressekonferenz.

Dies geschehe meist ohne eine Ahnung von den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen. Teils gerieten gar ahnungslose Eltern so ins Visier von kinderpornografischen Ermittlungen – schlicht, weil die Smartphones, über die einschlägige oder eben auch nur verdächtige Bilder oder Videos geteilt wurden, eben auf sie angemeldet sind.

Eltern werden ahnungslos zu Verdächtigen

Dass bei dieser „Schulhofpornografie“ schlicht Straftaten im Raum stünden, das müsse nicht nur den Kindern und Jugendlichen, sondern vor allem auch den Eltern klargemacht werden. Angesichts möglicher Konsequenzen für sie müssten die Gefahren im Internet mit im Fokus stehen. Sei das Smartphone auf Vater oder Mutter angemeldet, dann seien sie zunächst die Verdächtigen. Auch dann zum Beispiel, wenn es zur Hausdurchsuchung komme, das sei in Verdachtsfällen nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft die Regel, berichtete Michael Hunger, Leiter der Ermittlungsgruppe Kinderpornografie.

Als Präventionsangebot und mit der Hoffnung, so die Zahl der Fälle in diesem Bereich deutlich senken zu können, schickt das Polizeipräsidium Aalen nun ein Info-Schreiben an alle Schulen im Präsidiumsbezirk, zu dem auch der Rems-Murr-Kreis gehört. Mit dabei ist ein Elternbrief zum Versand über den jeweiligen Schulverteiler. Ziel sei es, so Thomas Maile, Leiter der Prävention, die Eltern für die Gefahren für ihre Kinder im Internet zu sensibilisieren. Die Informationen dazu, so Maile, könnten auch über die Homepage des Präsidiums abgerufen werden. Dasselbe gelte für 20 warnende Plakate, die dort für die Schulen zu Download und Ausdruck zur Verfügung stünden. Außerdem biete die Polizei einen Vortrag zum Thema „Schulhofpornografie“ für Schulkonferenzen oder Elternabende an. Vortragsangebote gebe es auch allgemein zum Thema Mediengefahren, diese wendeten sich sowohl an Schüler als auch an Eltern.

Verstärkt Meldungen aus den USA

In hohem Maße trügen zu den explodierenden Zahlen im Bereich Verdacht auf kinderpornografische Aktivitäten jene Verdachtsfälle mit, die in immer höherer Zahl die US-amerikanische Zentralstelle NCMEC (Zentrum für vermisste oder ausgebeutete Kinder) an das Bundeskriminalamt durchgebe. Mit jener Zentralstelle müssen in den USA alle Internetdienste kooperieren und die bei den eigenen Kontrollen aufgefallenen Verdachtsfälle melden. Dazu gehören unter anderem jegliche Nacktfotos von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren. Über die Landeskriminalämter kämen dann die Verdachtsfälle – inzwischen deutschlandweit rund 62 000 pro Jahr – an die zuständigen Ermittlungsgruppen in den Polizeipräsidien.

Nach Sichtung der Einzelfälle, so Hunger, würden diese, falls für relevant gehalten, der Staatsanwaltschaft vorgelegt. „In rund 80 Prozent dieser Fälle gibt es einen Durchsuchungsbeschluss.“ Und bei ansonsten ganz normalen Familien seien Schreck und Überraschung meist riesengroß, sagt der Ermittler – ganz abgesehen vom Effekt in der Nachbarschaft, wenn die Kripo anrückt, auch bei der Beschlagnahme der verwendeten Geräte, der Unterrichtung der Jugendbehörde und der zugehörigen Anzeige.

Eine 15-Jährige habe spontan zu ihm gesagt, so Hunger: „Sie zerstören gerade mein Leben.“ Sie sei davon ausgegangen, dass sie jetzt jeglichen Kontakt zu Clique verliere. Im Übrigen würden diejenigen, die gegen die Gesetze verstießen, immer jünger. Ein krasses Beispiel sei die Siebenjährige, die von sich selbst ein Nacktvideo aufgenommen und dies ins Internet gestellt habe. Die möglichen Konsequenzen für derlei Straftaten: Einzug der verwendeten Geräte, Strafverfahren, Eintrag ins erweiterte Führungszeugnis, Anklage, Strafbefehl und Arbeitsstunden.

Die in Waiblingen angesiedelte Ermittlungsgruppe Kinderpornografie (EG KiPo) unter Leitung von Michael Hunger besteht seit dem 1. März 2021. Sie startete mit zweieinhalb Stellen, vom 1. April an wird sie 14 Mitarbeiter haben.

Fälle von Kinder- und Jugendpornografie verdoppeln sich

Statistik
Seit 2017 sind die Fälle von Kinder- und Jugendpornografie im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Aalen (Landkreise Rems-Murr, Ostalb und Schwäbisch Hall) zunächst kontinuierlich angestiegen. Von 58 im Jahr 2017 auf 98 anno 2019. In den Folgejahren haben sie sich dann erst auf 176 und auf 333 jeweils verdoppelt. In der Verteilung waren es jeweils rund zehn Prozent Fälle von Jugend- und 90 Prozent von Kinderpornografie.

Perspektive
Die Zahlen für das Jahr 2022 werden demnächst zusammen mit der neuen Polizeistatistik zur Verfügung stehen. Im Bereich Kinder- und Jugendpornografie rechnet der Aalener Polizeipräsident Reiner Möller mit einer weiteren Verdoppelung.

Ermittlung
Im Jahr 2021 wurde gegen 164 Erwachsene, 24 Heranwachsende und gegen 83 Jugendliche ermittelt. Besondere Sorge bereitet den Ermittlern dabei die Verfünffachung bei den tatverdächtigen Kindern von acht Fällen 2020 auf 39 Fälle im Jahr 2021.