Beim Sport kommt es immer wieder zu Körperkontakt. Was ist okay und was nicht? Schutzkonzepte helfen, diese Frage zu beantworten. Foto: Patricia Sigerist

Dorothee Himpele berät Vereine über Schutzkonzepte gegen sexuelle Übergriffe. Sie sagt: Es braucht klare Regeln. In Waldenbuch gibt sie Ehrenamtlichen Tipps, wie Missstände entdeckt oder verhindert werden können.

Waldenbuch - Solche Nachrichten rütteln auf: Im Oktober 2017 hat das Stuttgarter Landgericht einen ehemaligen Tischtennis-Trainer des TSV Höfingen verurteilt, der über viele Jahre hinweg Kinder sexuell missbraucht hatte. Auch in Waldenbuch stellen sich Vereine und Organisationen spätestens seitdem die Frage, wie sexuelle Gewalt verhindert und die Gefahr von Übergriffen rechtzeitig erkannt werden können. Antworten erhofft man sich von einem Schutzkonzept, das in den kommenden Monaten erarbeitet werden soll.

Wo es ansetzt und wie es wirkt, erklärt die Präventionsexpertin Dorothee Himpele von Thamar, der Böblinger Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt, im Interview mit unserer Zeitung. Sie begleitet den Prozess und gibt am 8. Mai bei einer Auftaktveranstaltung für Ehrenamtliche in Waldenbuch den Startschuss für das Projekt.

Frau Himpele, die ehrenamtliche Arbeit in Vereinen lebt von einem offenen Miteinander und basiert auf Vertrauen. Wie haben die Ereignisse in Höfingen die Situation verändert?

Es ging ein Ruck durch die Vereine. Wenn sich so ein Fall in direkter Nähe ereignet, spürt man die eigene Verletzlichkeit. Eltern sind verunsichert, Ehrenamtliche fühlen sich unter Generalverdacht, Grenzen müssen neu definiert werden, und Dinge, die bisher selbstverständlich schienen, werden plötzlich hinterfragt. In diesem Klima ist es wichtig, dass ein Verein oder eine Organisation klare Regeln vorgibt, an denen sich alle Beteiligten orientieren können. Schutzkonzepte schaffen hier einen verlässlichen Rahmen.

Warum gibt es solche vorbeugenden Konzepte zum Schutz vor sexuellen Übergriffen nicht schon längst?

In vielen Vereinen hatte man das bisher einfach nicht auf der Rechnung. Es ist ja auch nicht leicht, sich der Diskussion zu stellen. Außerdem beobachte ich, dass nach wie vor die Meinung vorherrscht: Der Täter wartet im Dunklen hinterm Busch. Statistisch gesehen ist es aber so, dass 80 Prozent der Fälle von sexueller Gewalt innerhalb der Familie oder im sozialen Nahraum stattfinden. Unsere Aufgabe sehen wir darin, Bedingungen herzustellen, die es ermöglichen, das Risiko zu erkennen und zu verhindern, dass die Institution zum Tatort wird.

Wie funktioniert das?

Wir schärfen das Bewusstsein für die Problematik und erhoffen eine Kultur des achtsamen Miteinanders und Hinschauens. Dazu gehört zum Beispiel, die Strategie der Täter zu erkennen. Diese gehen häufig sehr geplant vor. Sie schauen, welches Kind sich leicht einschüchtern lässt oder gerade in einer schwierigen Lebenssituation ist. Sie manipulieren das Umfeld und nehmen Kontakt zu den Eltern auf. Wenn ein Missbrauch offensichtlich wird, höre ich hinterher oft den Satz: Ach, wenn wir das alles nur vorher gewusst hätten. Daran arbeiten wir.

Welche Bausteine gibt es noch?

Ein Schutzkonzept besteht aus vielen Komponenten. Wichtig ist, dass alle im Verein beteiligt werden, damit alle Perspektiven einbezogen werden können. Vor allem die der Kinder und Jugendlichen. Am Anfang steht eine Risiko-Analyse. Auf dieser Basis wird eine Handlungsanleitung für den jeweiligen Verein erarbeitet. Dazu gehören zum Beispiel Fortbildungen und Info-Veranstaltungen, die Bereitschaft der Ehrenamtlichen, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, die Ausarbeitung eines Notfallplans, Beschwerdeverfahren oder geschulte Ansprechpartner, die im Falle eines Verdachts genau wissen, was zu tun ist. Der Prozess bewirkt, dass man miteinander ins Gespräch kommt und das Thema aus der Tabuzone herausgeholt wird.

Aufklärung ist erwünscht, doch oft werden dabei zusätzliche Ängste geschürt. Wie groß ist die Gefahr, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden?

Ich möchte natürlich nicht, dass die Leute nach meinem Vortrag auf die Straße gehen und überall Täter sehen. Deshalb legen wir großen Wert auf einen sachlichen Umgang, der auf fundierten Zahlen basiert. Obwohl das Thema in der Öffentlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit erfährt, stellen wir fest, dass sich die Opferzahlen in den vergangenen Jahren nicht signifikant erhöht haben. Die Häufigkeit der Vorfälle zeigt allerdings, dass weiterhin großer Handlungsbedarf besteht. Pro Jahr werden unserer Beratungsstelle aus allen Lebensbereichen zusammen rund 260 Fälle gemeldet, in denen der Verdacht auf einen sexuellen Übergriff besteht. Etwas mehr als die Hälfte davon betrifft Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.