Safaa Izzeddin (links) und Ines Loubiri engagieren sich im Verein Pyramidea, der sich in Murrhardt für Inklusion und Integration einsetzt. Foto: Gottfried Stoppel

Geflüchtete haben in ihrer Heimat Wissen und Talente erworben. In Murrhardt unterstützt sie der Verein Pyramidea dabei, dass sie diese ehrenamtlich auch einbringen können. Dafür gab es schon mehrere Preise.

Ines Loubiri und Safaa Izzeddin sind sich einig: „Wenn man in Murrhardt landet, hat man viel Glück gehabt.“ Für beide Frauen ist die Kleinstadt im Schwäbisch-Fränkischen Wald zur zweiten Heimat geworden. Das hat auch mit dem Verein Pyramidea zu tun. In der Murrhardter Altstadt, gleich beim Marktplatz, hat er vor einem Jahr die Anlauf- und Begegnungsstätte „VIFA – Zentrum der Vielfalt“ eröffnet.

 

In den Räumen unweit des Marktplatzes passiert viel: Hier können Kinder spielerisch Deutsch lernen, Mal- und Bastelkurse belegen, tanzen oder singen. Auch für Erwachsene gibt es Sprachcafés und Deutschkurse – und wer möchte, lernt hier ganz praktische Dinge, zum Beispiel wie man selbst Käse herstellt.

Letzteres weiß Safaa Izzeddin ganz genau, denn in ihrer früheren Heimat hat sie das regelmäßig getan. In Syrien wird sehr viel und sehr gerne Käse gegessen. Zum Beispiel der an Ricotta erinnernde Arisha-Käse, der aus Molke gemacht wird. Dass sie ihr Wissen als Kursleiterin anderen vermittelt, konnte sich die 37-jährige dreifache Mutter bis vor wenigen Monaten dennoch nicht vorstellen: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas kann.“ In der Anfangszeit in Murrhardt habe sie kaum Kontakte außerhalb der großen Gemeinschaftsunterkunft gehabt, in der sie mit ihrer Familie lebe, erzählt Safaa Izzeddin, die eigentlich sehr kontaktfreudig und aufgeschlossen ist: „Da habe ich kein Deutsch gesprochen.“

Zum Glück lernte sie Ines Loubiri kennen, die schon länger in der Unterkunft lebte und sich bereits damals ehrenamtlich im Verein Pyramidea engagierte. Die gebürtige Tunesierin, die im Verein auch eine Kindergruppe leitet, ermunterte Safaa Izzeddin, rauszugehen aus der Unterkunft und das Sprachcafé zu besuchen.

Verein stellt Räume, Material und Dolmetscher

„Safaa will immer etwas machen – sie kocht, tanzt, singt und ist einfach sehr aktiv“, sagt Ines Loubiri, die es schade fand, diese Talente nicht zu nutzen. Genau das ist der Gedanke, der hinter dem preisgekrönten Projekt „Gute Vibes in Murrhardt“ steckt, erklärt Jochen Schneider vom Verein Pyramidea: „Unsere Idee ist es, Leute zu ermutigen, ihre Talente zu nutzen und ihre Ideen umzusetzen. Das braucht anfangs viel Zuspruch, denn die Menschen fragen: Wie soll das gehen ohne Deutschkenntnisse?“

Eben da kommt Pyramidea ins Spiel: Der Verein sorgt für Dolmetscher, stellt Räume und Ausstattung zur Verfügung und qualifiziert Ehrenamtliche für ihre Tätigkeit, zum Beispiel mit Erste-Hilfe-Kursen. „Bei den Kursen ist immer einer von uns Hauptamtlichen zur Unterstützung dabei“, sagt Jochen Schneider. Safaa Izzeddins erster Käsekurs war Ruckzuck ausgebucht, zwei weitere Termine sind ebenfalls bereits voll. „Im ersten Kurs waren nur deutsche Teilnehmer“, sagt Ines Loubiri, die seit Juli hauptamtlich für Pyramidea arbeitet.

Dass der Verein nach kurzer Zeit schon 4,5 hauptamtliche Stellen besetzt hat, sieht Jochen Schneider auch als Zugewinn für die Kommune Murrhardt: „Das sind Leute, die eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe leisten.“ Beim letzten Ferienprogramm habe der Verein zwölf der insgesamt 55 Aktivitäten angeboten.

Nachbarschaftpreis für Pyramidea

Schneider selbst ist in Murrhardt aufgewachsen und bestens vernetzt, was auch dem Verein zugutekommt. Denn für die Einheimischen ist er „der Jochen“, der mit dem Sohn in die Grundschule gegangen ist, mit dem man einst im Sportverein trainiert hat. Berührungsängste sind da kein Thema.

„Wir wollen, dass Geflüchtete anders wahrgenommen werden – als wertvoller Teil der Gesellschaft“, beschreibt Jochen Schneider die Ziele des Vereins. Sich und seine Projekte finanziert Pyramidea komplett über Förder- und Spendengelder. Im vergangenen Jahr gab es für den Verein gleich zweimal Grund zum Feiern: Pyramidea erhielt beim Wettbewerb um den Jugendbildungspreis Baden-Württemberg und beim bundesweiten Nachbarschaftspreis jeweils den Sonderpreis der Jury.

Wenige Monate nachdem die Anlaufstelle VIFA im Februar vergangenen Jahres eröffnet hatte – die Renovierung und Einrichtung der Räume wuppten überwiegend die Ehrenamtlichen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei, der Ukraine, dem Iran und Nordafrika – kam auch noch das VIFA 2 gleich um die Ecke hinzu. Dort können nun parallel Veranstaltungen stattfinden, meist sind es die ruhigeren Formate.

„Pyramidea gibt mir gute Ideen, die ich verwirklichen kann – darüber bin ich sehr froh, sagt Safaa Izzeddin. Ohne langes Überlegen zählt sie auf, welche Kurse sie gerne anbieten würde: veganes Essen, Buttermilch und Kürbismarmelade herstellen und Brotbacken.