Sie haben noch nicht gleich gezogen, aber sie holen auf. Immer mehr Frauen übernehmen Verantwortung im Sport, nur in den Spitzenpositionen der Vereine und Verbände sind sie noch zu selten am Start.
Stuttgart - Den Sport haben Männer für Männer erfunden. Weshalb Frauen schon immer ein bisschen länger an der Tür kratzen mussten, um ihren Platz zu erobern im sozialen Rückzugsraum maskuliner Siegertypen. Der Schweizer Gian-Franco Kasper jedenfalls führte vor Jahren einen vermeintlich heroischen Abwehrkampf, der zum Ziel hatte, Frauen von den Skisprungschanzen dieser Welt fernzuhalten. „Die Wucht des Aufsprungs bei der Landung“, mahnte der bis heute amtierende Präsident des Weltskiverbands (Fis), „zerstört die Gebärmutter.“
Allerdings vermochte sich der anatomische Warnhinweis gegen den Zug der Zeit nicht durchzusetzen. Das Skispringen der Frauen ist seit 2014 olympisch. Auch Fußball spielen die Frauen inzwischen, obwohl der Deutsche Fußball-Bund (DFB) einst Bedenken hinsichtlich ihrer Tauglichkeit fürs Sponsoring angemeldet hatte: „Die Anatomie der Frau ist für Trikotwerbung nicht geeignet. Die Reklame verzerrt.“
Nur 10 Prozent Frauenanteil in Chefpositionen
Ansonsten ist die Weiblichkeit dabei, ihren Ruf als Störenfried sportiver Herrenrunden gründlich zu widerlegen. Denn seit Jahren schon dämmert den Granden des Spitzensports, dass es auf Dauer zum Problem werden könnte, der Hälfte der Menschheit den Zugang in die Tempel der gehobenen Bewegungsfreude zu verwehren. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) meldet einen Frauenanteil von 40 Prozent unter seinen 27,5 Millionen Mitgliedern. Immer mehr Frauen wagen sich sogar auf die Chefsessel in den deutschen Sportverbänden, wenngleich sie erst 10 Prozent der führenden Posten beanspruchen.
An Vorbildern mangelt es nicht: Veronika Rücker führt seit Jahresbeginn den DOSB als Vorstandschefin, die höchste deutsche Sportorganisation. Anfangs noch als Fingerpuppe des machtbewussten Präsidenten Alfons Hörmann verhöhnt, verschafft sie sich mehr und mehr Respekt – mit fundiertem Fachwissen und einem teamorientierten Führungsstil. „Wenn ich eine Vorbildfunktion habe“, sagt sie, „dann nehme ich sie gerne an. Ich hoffe aber sehr, dass meine Erfahrung und meine Kompetenzen den Ausschlag gaben, weshalb ich diesen Job bekommen habe.“
Veronika Rücker empfiehlt den Skeptikern weiblicher Schaffenskraft in Funktionärsangelegenheiten den gelegentlichen Blick in den letzten Sportentwicklungsbericht des DOSB: Wo Frauen das Sagen haben, sind die Vereine meist erfolgreicher. Weil sie klarer strukturiert sind, effektiver geführt werden und zielorientierter arbeiten. Mit anderen Worten: Die Machtspielchen und Worthubereien der Machos verplempern nur Zeit und Energien.
Fifty-fifty bei Olympischen Spielen
Da erscheint es fast schon als Segen, dass die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern bei den großen Sportveranstaltungen dieser Welt längst eine Selbstverständlichkeit ist. Zwar dauerte es 87 Jahre, ehe die erste Frau im 1894 gegründeten Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ihren Platz einnehmen durfte, inzwischen sind es immerhin schon dreißig von hundert. Bei den Olympischen Winterspielen in Pyeogchang waren 43 Prozent der Teilnehmer weiblich, bei den Sommerspielen in Tokio 2020 soll es dann die Hälfte aller Starter sein.
So eindeutig die Fortschritte sind, so übersichtlich sind sie noch immer in den gehobenen Ehrenämtern und hauptberuflichen Posten. Im Jahr 2016 kamen sechs deutsche Spitzensportverbände im Präsidium noch komplett ohne Frauen aus. „Weil Führungspositionen gerade im Sport zu häufig per se Männern zugeschrieben werden“, sagt die Leipziger Sportsoziologin PetraTzschoppe. Bundesligaschiedsrichterin Bibiana Steinhaus zum Beispiel werde bei jedem Pfiff noch kritischer hinterfragt als die männlichen Kollegen. „Und glauben Sie ernsthaft, Bayern-Profi Franck Ribéry hätte es gewagt, einem männlichen Schiri die Schnürsenkel aufzuzupfen?“ Die Antwort liefert sie gleich mit: „Im Leben nicht!“
Zu wenig Trainerinnen
Petra Tzschoppe ist sich sicher, dass im Sport vieles in Bewegung gekommen ist, aber es gebe noch immer viel zu tun. Die Sportwissenschaftlerin, seit vier Jahren DOSB-Vizepräsidentin, arbeitet seit Mitte der neunziger Jahre am Thema Gleichstellung in Vereinen und Verbänden. Sie nennt vier strategische Eckpunkte, die der DOSB bis 2020 in den Fokus rückt: Es sollen mehr Frauen als bisher in Führungspositionen. Es gibt noch zu wenig Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Kampfrichterinnen. Das Thema sexualisierte Gewalt verlangt mehr Beachtung als bisher. Und zu guter Letzt: Die geschlechtergerechte Darstellung des Sports in den Medien soll forciert werden.
Besonders hilfreich auf dem Weg zur Gleichstellung sind immer mehr Frauen, die sich trauen. Elvira Menzer-Haasis führt seit zwei Jahren den Landessportverband Baden-Württemberg (LSV) und versichert: „Ich würde es wieder machen, auch wenn die Arbeit nicht immer nur schöne Seiten hat.“ Die resolute Chefin warnt zugleich vor Stereotypen. „Das Problem sind nicht so sehr die Männer, die Frauen in wichtigen Ämtern verhindern wollen. Es sind die Frauen, die zögern.“ Ein Trend, den Margarete Lehmann bestätigt: „Die Männer sind anders geworden. Die freuen sich, wenn eine Frau mit arbeitet.“ Die Zeiten, als die wichtigen Vereinsangelegenheiten spät nachts beim fröhlichen Umtrunk der Dorfhäuptlinge entschieden wurden, sind demnach vorbei. „Und ein, zwei Bierchen“, sagt die ehemalige Vereinsvorsitzende des SV Seitingen-Oberflacht, „ krieg ich im Zweifelsfall auch noch runter.“ Ihr Pensum ist gewaltig: Sie amtiert als LSV-Präsdiumsmitglied für Finanzen und für Gleichstellung, sie ist seit 18 Jahren Vorstandsmitglied im Württembergischen Fußballverband (WFV), sie steht dem Sportkreis Tuttlingen vor, sie vertritt die Belange des Sports im Rundfunkbeirat und arbeitet im Hauptberuf in Vollzeit als Kämmerin in ihrer Heimatgemeinde. Sie hebt die Augenbrauen und lächelt: „Es geht schon. Man muss aber die Zeitfenster finden, die stressfreie Arbeit zu lassen.“ Ihre Kinder, erzählt sie, seien auf den Sportplätzen groß geworden. Und ihr Mann? War selbst auch Sportler und Funktionär. „Wenn eine Frau ein Amt will,“ behauptet Margarete Lehmann, „dann kriegt sie es auch.“ Widerspruch zwecklos.
Doris Imrich würde den Satz wohl unterschreiben, aber hinzufügen, dass Frauen auch bereit sein sollten, den einen oder anderen Widerstand zu ertragen. Die frühere Schwimmerin führt den VfL Kirchheim/Teck seit 29 Jahren. Und man darf sagen: So mancher Mann hat sich an ihr die Zähne ausgebissen. Der Schuldenberg der Fußballabteilung (360 000 Euro) ist demnächst abgetragen, das neue Sportvereinszentrum, ein Fitnessstudio, wurde trotz vieler Widerstände gebaut. „Man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Doris Imrich, „aber am Anfang gab es vor allem bei den Fußballern erhebliche Bedenken.“ Der unfreundliche Tenor: Was will die denn hier? Sie bildete sich unter anderem auf Lehrgängen des Württembergischen Landessportbunds (WLSB) fort, sie tauschte sich mit den erfahrenen Mitarbeitern anderer Vereine aus und irgendwann konnte ihr kein Schlaumeier mehr ein X für ein U vormachen. Heute dirigiert die Chefin den 4500 Mitglieder zählenden Verein souverän, akzeptiert und respektiert. Sie sagt: „Ich habe ein gutes Team, das mich unterstützt. Die Arbeit macht immer noch Spaß.“
Das Normalste von der Welt
Ulrike Zeitler würde ergänzen: und sie sorgt für Abwechslung. Die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Stuttgart führt seit 2012 den MTV, den mit 8200 Mitgliedern nach dem VfB zweitgrößten Stuttgarter Verein. Erst vor kurzem wurde sie in ihrem Amt wieder bestätigt. „Ich mache das gern“, sagt die Präsidentin selbstbewusst, „weil ich gerne Verantwortung übernehme und weil mir der Verein den Zugang zu anderen sozialen Wirklichkeiten eröffnet. Ich knüpfe Freundschaften, lerne andere Sorgen und Nöte kennen als die unter Juristen.“ Kein Zweifel: Das Ehrenamt verlangt viel von ihr, bereichert aber auch ihr Leben. Natürlich haben die Vereinsmeier auch am Kräherwald gestaunt, als sie vor sechs Jahren ein paar Nächte über die Anfrage schlief und dann sagte: „Okay, ich mach’ das!“ Heute ist die Frau an der Spitze für den MTV das Normalste von der Welt. Ulrike Zeitler nennt stolz die Zahlen: 4106 männliche Mitglieder, 4136 weibliche. 100 Übungsleiter, 130 Übungsleiterinnen. Die Volleyballerinnen von Allianz MTV sind in der Bundesliga sogar das Maß der Dinge. „Bei uns im Verein ist die Gleichstellung schon Realität“, sagt Ulrike Zeitler, „aber die Frauen müssen im Sport generell noch sehr viel mehr aufholen.“ Auch im Hinblick auf die Gagen. In der aktuellen Forbes-Geldrangliste für Sportler findet sich unter den Top 100 keine einzige Frau.
Es wird nach Lage der Dinge noch ein paar Jahre dauern, bis die Geschlechter im Sport in jeder Hinsicht auf Augenhöhe agieren. Die bahnbrechende Erkenntnis setzt sich jedoch durch: Der Sport wurde zwar von Männern für Männer erfunden, aber ohne die Frauen ist er nur die Hälfte wert.