Die Geschäfte im ZF-Stammwerk laufen gut. Lange nach dem Abschied des Großkunden MAN gibt es neue Produkte in Friedrichshafen. Es wird über eine Betriebsrente verhandelt.
Friedrichshafen - Am Stammsitz der ZF AG in Friedrichshafen herrscht zum Ende dieses Jahres beste Laune. Rund 4000 Beschäftigte nahmen am Freitag Vormittag an einer der turnusmäßigen Betriebsversammlung teil. „Die Stimmung war gut“, konstatierte danach Achim Dietrich, Betriebsratsvorsitzender für den Produktionsbereich. „Ich glaube, dass die meisten Beschäftigen nach vorne schauen wollen.“ Mit dem Management sei mittlerweile „ein ganz guter Dialog entstanden“. Das war nicht nur ein Lob für den seit Jahresbeginn amtierenden Vorstandsvorsitzenden Wolf-Henning Scheider, sondern auch klar auf den im vergangenen Jahr geschassten Vorstandschef Stefan Sommer gemünzt, der vom Ruf begleitet war, viel Sachverstand, aber wenig Empathie zu besitzen. Sommer hatte sich mit dem parteilosen Friedrichshafener Oberbürgermeister Andreas Brand überworfen und den Machtkampf schließlich verloren. ZF gehört der Zeppelin-Stiftung, die von der Stadt kontrolliert wird.
Keine der dunklen Prognosen hat sich bewahrheitet
So schnell haben sich die Zeiten geändert. Noch vor rund einem Jahr musste sich Brand bei seinem Auftritt vor den ZF-Beschäftigten sogar Pfiffe anhören. Der Eigentümer hatte sich nicht nur von Sommer getrennt, sondern auch eine kräftige Erhöhung der Dividende beschlossen; das alles, so schien es, zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Konzern am Scheideweg befand. Längst hatte ja die Frage im Raum gestanden, welche Antwort ZF auf die Elektromobilität und den Technikwandel finden würde. In Friedrichshafen werden Getriebe für schwere Busse und Lkw gebaut. Und 2016 hatte der Großkunde MAN den schrittweisen Rückzug als Getriebekunde angekündigt und eine Kooperation mit dem Hersteller Scania begonnen. Wie ein Menetekel hatte das gewirkt.
Ein Jahr später hat sich keine der dunklen Prognosen bewahrheitet, im Gegenteil: „Beim Truck und Bus laufen wir stabil“, sagte Dirk Hanenberg, Standortleiter für den Produktionsbereich in Friedrichshafen. Die „Bedrohungslage“ von 2016 gebe es nicht mehr. Auf Dauer werde zwar die Elektromobilität die klassische Getriebetechnik kannibalisieren, doch mit neuen Produkten steuere ZF dem entgegen. Ein Hybridgetriebe namens Traxon für schwere Nutzfahrzeuge, das sich mit Elektroantrieben kombinieren lässt, laufe gut im Markt. Zudem entwickeln die Friedrichshafener einen eigenen elektrischen Zentralantrieb für die Fahrt in Innenstädten. Und dann haben die Friedrichshafener noch den Konzernauftrag, ein Achtgang-Automatikgetriebe für leichte und mittelschwere Nutzfahrzeuge wie Transporter zu entwickeln. Sie laufen zwar nicht elektrisch, sollen aber den Verbrauch senken helfen. Ohne den Lohn- und Gehaltsverzicht „wären diese drei Produkte vermutlich nicht nach Friedrichshafen gekommen“, sagte Franz-Josef Müller, der neue Betriebsratsvorsitzende für die Zentralbereiche am Stammsitz.
Anstellung von 650 zusätzlichen Ingenieuren geplant
Von den 600 Millionen Euro fließen der Standortvereinbarung gemäß 250 Millionen in den Ausbau und die Modernisierung der Produktionsanlagen. Eine weitere Viertelmillion geht an die Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Unter anderem sehen die Pläne die Anstellung von 650 zusätzlichen Ingenieuren vor. 100 Millionen Euro sind als Sonderinvestition zur Schaffung von Arbeitsplätzen gedacht. Aktuell beschäftigen sich die Friedrichshafener mit Techniken zum autonomen Fahren schwerer Fahrzeuge auf Werksgeländen – einschließlich Fußgängererkennung. Getestet wird zum Beispiel das autonome Laden und Entladen von Lastwagen.
Allmählich weg vom Getriebebau in Friedrichshafen, hin zum Wissens- und Hightechstandort, wie der Konzern das nennt – das ist auf lange Sicht wohl der Weg am Stammsitz. Flexibel sei das Werk inzwischen geworden, lobt Standortleiter Hanenberg, und das sei auch nötig. Schon eine Dreijahresprognose sei schwer. Niemand könne seriös vorhersagen, wie schnell sich die Elektromobilität weiterentwickeln. Deutlich euphorischer äußert sich die Belegschaftsvertretung. Dass die Stadt Friedrichshafen ihre Jahresdividende kräftig erhöht: kein Problem für Achim Dietrich. Die 600 Millionen Euro fürs Stammwerk verschafften genügend „Beinfreiheit“ für die Zukunft. Die Einnahmen, mit denen die Stadt ihren Sozial- und Kulturhaushalt finanziert, seien besser angelegt, „als wenn sich irgendjemand eine Jacht kauft“. So gut geht es dem Werk aktuell, dass der Betriebsrat mit Detlef Gagg, Standortleiter für die Zentralbereiche, über die Einführung einer Betriebsrente verhandelt. Schon nächstes Frühjahr, deuten die Verhandlungsparteien an, könnte es zu Unterschriften kommen.