Eigentlich wollte Martin Enz Dorfpfarrer auf der Schwäbischen Alb werden. Durch die Zusatzausbildung "Klinische Seelsorge" kam er zu den Kranken. Foto: dpa

Die Begleitung Sterbender und Trauernder zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Martin Enz.

Stuttgart - Der flämische Pater Phil Bosmans hat stillen Helfern ein Denkmal gesetzt. "Von ihnen geht ohne viel Aufhebens ein Strom der Liebe aus", schrieb er und bemerkte: "Ihr Name steht nie in der Zeitung." Das soll sich ändern. Ein Portrait des Pfarrers Martin Enz, der sich unermüdlich engagiert.

Der Ordner mit den Fotos von lachenden Kindern ist dick. Zu jedem Namen kann Pfarrer Martin Enz etwas erzählen. Das Befremdliche ist, er spricht in der Vergangenheitsform. Neben den Fotos stecken die Todesanzeigen seiner ehemaligen Schützlinge. Knapp sechs Jahre lang war er Seelsorger in der Kinderklinik Tübingen, mit Schwerpunkt auf der Onkologie und der Intensivstation.

Mit seiner Gitarre besuchte er die schwerkranken Kinder und Jugendlichen. "Sie waren erst mal neugierig, was der mit der Gitarre denn im Krankenhaus will", schmunzelt der 53-Jährige. Mit den Kindern hat er nicht nur gespielt, gelesen und gesungen, sondern, wenn sie es wollten, auch gebetet und über den Tod gesprochen. Dabei war es ihm wichtig, dass die Kinder sagten, was sie brauchen. "Derjenige, der begleitet werden will, sagt, wo es langgeht", schildert Enz sein Konzept. So kam es auch vor, dass die jungen Patienten ihn in manchen Momenten wegschickten.

"Schwerkranke Kinder möchten ihre Eltern oft schonen"

Dennoch sind intensive Freundschaften entstanden. Beispielsweise mit dem jungen Mann, der eine Leber transplantiert bekam: "Morgens um 5 Uhr bekam ich einen Anruf. Er wolle nur operiert werden, wenn ich ihn in den OP schiebe", erzählt der evangelische Theologe mit seiner ruhigen Stimme. Viele Kinder wünschten sich, von "ihrem Pfarrer Enz" beerdigt zu werden und erzählten ihm, wie sie sich das Begräbnis vorstellten.

"Schwerkranke Kinder möchten ihre Eltern oft schonen, indem sie ihnen nicht alles erzählen", sagt Enz. Da war es gut, dass sie ihn hatten, um sich auszusprechen. "Ein zwölfjähriges Mädchen sagte mir, wenn sie tot sei, würde sie Gott fragen, warum sie so früh sterben muss. Ich antwortete, sie solle es mir dann sagen, im Traum." Nach dem Tod eines Kindes sang der Pfarrer im Aufbahrungsraum Lieder zum Abschied. Es war sein Ritual, um mit dem Verlust fertig zu werden, ebenso wie das Anlegen seines Erinnerungsordners.

Eigentlich wollte er Dorfpfarrer auf der Schwäbischen Alb werden. Durch die Zusatzausbildung "Klinische Seelsorge" kam er zu den Kranken. Am Anfang hatte er, selbst Vater dreier Kinder, Angst vor der Kinderseelsorge: Würde er das aushalten? Schließlich gab ihm die Arbeit dann aber doch sehr viel. "Kinder lachen dem Tod ins Gesicht. Wenn Erwachsene wissen, dass sie sterben müssen, sind sie oft schon tot, obwohl sie noch leben. Kinder leben im Hier und Jetzt", erzählt Enz. Für ihn ist der Tod nicht das Ende, sondern der Beginn eines neuen Lebens bei Gott. "Wir verlieren Menschen, aber sie bleiben doch bei uns."

Hilfe für trauernde Kinder

Die Begleitung Sterbender und Trauernder zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Martin Enz. Nach seiner Zusatzausbildung betreute er zuerst schwerkranke Erwachsene in der Lungenfachklinik Löwenstein, bevor er nach Tübingen kam. Da möglichst viele Pfarrer die Arbeit in der Kinderklinik kennenlernen sollten, war die Stelle befristet.

Inzwischen hat Martin Enz ein Projekt in die Wege geleitet, das trauernden Kindern helfen soll, wenn sie Vater, Mutter oder ein Geschwisterkind verloren haben. Mit Hilfe der Bruderhaus-Diakonie Reutlingen und seiner Kollegin Eva Glonnegger hat er es umgesetzt. Die Begleitung stößt auf große Resonanz. In der Bruderhaus-Diakonie arbeitet Enz jetzt außerdem mit behinderten, psychisch kranken und alten Menschen. Die Kinderklinik aber vergisst er nicht. "Das war meine wichtigste Zeit", sagt er.