In der Region Stuttgart leben Menschen aus allen Ländern, deren Mannschaften zur Fußball-EM in der Landeshauptstadt spielen. In unserer Serie erzählen sie über sich und ihre EM-Wünsche. Heute: Charles Taylor (73) aus Schottland.
Natürlich hat er eines. Wie könnte es auch anders sein. Charles Taylor (73) hat ein Trikot der schottischen Nationalmannschaft. Logisch. Schon die Frage erstaunt ihn. War er doch bereits als junger Kerl 1967 in Wembley, als Schottland beim damals amtierenden Weltmeister England 3:2 gewann. Übrigens die älteste Fußball-Paarung der Welt, erstmals 1872 ausgetragen. 57 Jahre später treffen wir uns im Friseursalon Mod’s Hair beim Hauptbahnhof.
Zum Haare schneiden nach Stuttgart
Dort arbeitet Taylor noch zweimal in der Woche. „Ich bin noch fit, warum nicht?, sagt er und grinst. Sein Beruf hat ihn auch vor 45 Jahren nach Stuttgart geführt. In einem Fachmagazin hatte er eine Anzeige gelesen, nach einer Scheidung hielt ihn nicht viel in Schottland. Und weil er im Urlaub auf Mallorca eine junge Deutsche kennengelernt und sich geärgert hatte, dass er kein Deutsch verstand, dachte er sich: „Warum nicht Stuttgart?“ Er flog her, arbeitete als Friseur, und Hand aufs Herz, bei welchem Job lernt man Deutsch besser? Zum Haare schneiden bucht man die Unterhaltung dazu.
Der Vater war Kriegsgefangener in Deutschland
Stuttgart, das ist auch ein Ausflug in die Familiengeschichte. Sein Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg in El Alamain in Nordafrika. Gegen die Wüstenfüchse von Feldmarschall Erwin Rommel. Dessen Sohn Manfred OB in Stuttgart war, als Charles Taylor hier ankam. Vater Taylor kam drei Jahre nach Bayern in ein Kriegsgefangenenlager. Als Gefangene und Wachen dort Hunger litten, freundete er sich mit einem deutschen Soldaten an, ebenfalls Herrenfriseur. „Die beiden schrieben sich noch lange nach Kriegsende Briefe“, sagt Charles Taylor.
Wenn im Sommer Europa friedlich und ausgelassen Fußball schaut, dann sollte man nicht vergessen, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass es wie eine Utopie schien, dass ein Schotte in Stuttgart lebt, Deutsch mit Edinburgher und schwäbischem Einschlag spricht, Freunde aus aller Herren Länder hat und mit dem VfB fiebert. Und natürlich mit seiner Nationalmannschaft. Selbstverständlich im blauen Trikot.