Klaus Lederer ist Kandidat für den Kultursenatorposten in Berlin. Foto: dpa

Der künftige Kultursenator Klaus Lederer ist bisher eher als Parteichef und brillanter Redner aufgefallen, denn als Kulturexperte. Nun startet er noch vor Amtsantritt mit einem Paukenschlag und stellt die Berufung Chris Dercons an die Volksbühne in Frage.

Berlin - Es sei schon erstaunlich, so sagte die einstige Grünen-Abgeordnete Alice Ströver neulich in leicht maliziösem Ton im Radio, mit wie wenig Vorwissen man in Berlin Kultursenator werden könne. So ist es, wenn ein Neuer die Bühne der Hauptstadtkultur betritt: Willkommenskultur kennen die Hüter der Vielfalt im eigenen Haifischbecken nicht.

Klaus Lederer wird darauf gefasst gewesen sein, als er sich – noch vor der Abgeordnetenhauswahl – als möglicher neuer Kultursenator ins Gespräch brachte. Nun ist die Wahl vorbei, die Hauptstadt steht vor einem rot-grün-roten Politikexperiment und sie bekommt erstmals nach zehn Jahren wieder einen eigenen Kultursenator.

Ein eigenständiger Kultursenator

Das ist eine gute Nachricht. Denn als Klaus Wowereit die Kultur vor zehn Jahren als Regierender Bürgermeister an sich zog, hatte das mehr mit der 1998 geänderten Berliner Verfassung zu tun als mit der Absicht, das Feld zur „Chefsache“ zu erheben. Damals wurde die Zahl der Senatoren auf acht begrenzt – diese Grenze ist nun zum ersten Mal wieder auf zehn erhöht worden, was den Spielraum für eine eigene Kulturverwaltung ermöglicht.

Tatsächlich ist die Kulturpolitik bisher nicht gerade das natürliche Habitat Lederers. Der Jurist stand in den vergangenen elf Jahren an der Spitze der Linkspartei. Im Abgeordnetenhaus hat er sich als Kulturpolitiker nicht profiliert – dafür als Mann mit extrem schnellem Geist und scharfer Zunge. Seine Reden im an guten Rednern armen Landesparlament sind stets mit politischer Leidenschaft vorgetragene Denksporteinheiten. Welche Verwerfungen man mit seinen Äußerungen anrichten kann, wie man politische Signale setzt, das weiß der 42-jährige sehr genau.

Also wird Absicht dahinter stecken, dass er noch vor dem obligatorischen Mitgliederentscheid seiner Partei und vor der Ernennung zum Senator mit einer einzigen Aussage einen kleinen Skandal inszeniert: Die Personalie Chris Dercon solle „überprüft“ werden, ließ Lederer die Öffentlichkeit in mehreren Interviews wissen. Die Ankündigung hat nicht nur die Kulturszene erstaunt, sondern ist auch politisch erklärungsbedürftig – und auch rein formal vor dem offiziellen Amtsantritt schwierig.

Ein erklärungsbedürftiger Satz

Gerade eben schien die Wut über die Berufung des belgischen Museumsmannes Dercon an die Spitze der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz einer gewissen Bereitschaft zu weichen, sich inhaltlich mit Dercons Idee auseinanderzusetzen, aus der frakturbeschrifteten Volksbühne, seit 23 Jahren in der Intendanz von Frank Castorf, eine – in den Augen der Kritiker eventverdächtige – volksbuehne.de zu machen.

Nun stellt Lederer alles in Frage

Nun aber stellt Lederer alles in Frage. „Es geht nicht um eine Entscheidung für oder gegen Chris Dercon“, sagt er zwar der „Berliner Zeitung“, aber meint weiter: „Es geht um die Frage: ist dieses Konzept tragfähig ohne dem Organismus Volksbühne einen irreparablen Schaden zuzufügen?“ Wie bitte soll Dercon, der noch nicht angefangen hat, mit so einem Satz denn nicht desavouiert werden? Wie unfair ist – bei allen Zweifeln – so ein Satz gegenüber jemandem, der noch nicht einmal die Chance hatte, seine Arbeit zu zeigen? So etwas Stilloses habe er in vierzig Jahren noch nicht erlebt, zürnte der Kunstexperte und Anwalt Dercons, Peter Raue, in der Boulevardzeitung „B. Z.“ Dercon selbst erklärte, er wolle weiterhin nach Berlin kommen.

Sollte der Vertrag trotzdem gelöst werden, würde es teuer fürs Land Berlin – denn die unterzeichnete Vereinbarung läuft über fünf Jahre. Nicht nur eine Millionenabfindung würde fällig. Schwerer noch trüge die Hauptstadt am Ruf, in solchen Entscheidungen auf dem internationalen Parkett kein verlässlicher Partner zu sein. Wer hat da noch Lust, Orte wie die Tate Modern zu verlassen, um nach Berlin zu kommen?

Dercon wird desavouiert

Und da beginnt auch die politische Brisanz von Lederers Aussage: Unterzeichnet hat den Vertrag der noch amtierende Kultursenator und Regierende Bürgermeister Michael Müller. Nach traditionellem machtpolitischen Regelwerk müsste man Lederers Aktion als Signal an die eigene Klientel werten und zugleich als eine Art Dominanzgeste. Nun hat sich aber diese Koalition ja vorgenommen, anders miteinander umzugehen, wozu vielleicht auch gehört, dass Lederer vorher darüber gesprochen hat, Dercon öffentlich anzweifeln zu wollen. Aus dem Roten Rathaus dringt bisher jedenfalls kein Wutgeschrei, und die Grünen haben sehr augenhöhenorientiert schon einen Runden Tisch vorgeschlagen.

Vielleicht entwickelt sich hier gerade eine neue Art Streitkultur. Der Ausgang des Experiments ist offen. Dass Klaus Lederer über seine Aussage „stolpert“, wie die „B. Z.“ insinuiert, ist jedenfalls eher unwahrscheinlich. Wer wollte, konnte schließlich seit August seine massive Kritik an der Personalentscheidung Dercon kennen. Damals hatte Lederer in einem Gastbeitrag zur Kulturpolitik der Hauptstadt im „Tagesspiegel“ für einen eigenständigen Kultursenator geworben und sich damit ins Gespräch für den Posten gebracht.

Lederer auf diesem Platz ist eine Überraschung

Dies war eine Überraschung. Bis dahin dachte man, in einem rot-rot-grünen Senat böte sich eher das Justizressort an. Lederer ist mit seinen 42 Jahren schon seit mehr als einem Jahrzehnt in der Landespolitik aktiv. 1974 in Schwerin geboren, verlebte er seine Kindheit in Frankfurt (Oder) und zog 14-jährig mit seiner Familie nach Berlin. Seit 1992 ist er Mitglied der PDS, inzwischen Linkspartei. Er promovierte an der Humboldt-Universität, seit 2003 sitzt er im Abgeordnetenhaus. Er erlebte die Jahre der rot-roten Koalition, das Kleinregiertwerden durch die SPD, die Rückkehr in die Opposition. Zur Regierungserfahrung kommt enorme Erfahrung im Moderieren, die er als Chef der Partei gesammelt hat. Lederer gilt als harter Verhandler.

Mit seinem Mann wohnt er im gentrifizierten Stadtteil Prenzlauer Berg, also mitten in jenem schicken neuen Berlin, in dem es leicht überspitzt gesagt keine Alten, keine Armen und keine Dicken gibt. Die Stadt sei toll, wenn man sie sich leisten könne, sagte Lederer im Wahlkampf.

Kultur soll für alle da sein

Die Buntheit der Stadt finde man im Theater nicht wieder. Kultur solle nicht nur einem Teil der Stadtgesellschaft zur Verfügung stehen und nicht nur von einem Teil gemacht werden. Auch der Gastbeitrag über die Hauptstadtkultur beschäftigt sich mit Teilhabe und Zugängen zu Kultur. Lederer setzt dort das Ziel, dass alle Berliner unabhängig vom Geldbeutel Zugang zu den kulturellen Angeboten der Stadt haben müssten. Einen Anfang macht die Koalition nun mit einem kostenfreien Museumstag. Auch die soziale Situation von Künstlern möchte der künftige Kultursenator verbessern – mit ordentlicher Bezahlung, mit der Sicherung von Räumen.

„Es geht nicht allein darum, die reichhaltige Berliner Kulturlandschaft mit ihren Theatern, Opern, Museen, Orchestern und Gedenkstätten zu pflegen, Intendanten zu berufen oder für die freie Szene mehr Geld und passende Förderinstrumente zu finden“, schreibt Lederer. Er fordert eine „integrierende Kulturpolitik“, die auf soziale Herausforderungen reagiere. Was er da leisten will, klingt nach Spagat: Die Kulturpolitik müsse strukturell verknüpft sein mit Themen wie Bildung, Integration oder Kreativwirtschaft. Sein Amt, das wird deutlich, versteht er als eine Art Querschnittressort für geistige Stadtentwicklung. Im Prinzip eint ihn dieses Ziel mit Chris Dercon: Der möchte die ganze Stadt bespielen.