Eine beliebte Veranstaltung im Sarah ist der Jugend Islam Talk – ein interkultureller Nachmittag für junge Frauen. Foto: Julia Bosch (Archiv)

Odile Laufner hat vor 40 Jahren das Frauenkulturzentrum Sarah im Stuttgarter Westen gegründet. Ziel war es, Frauen einen Treffpunkt zu bieten in einer Zeit, in der Frauen in der Öffentlichkeit eigentlich keine Rolle gespielt haben. Ein Gespräch über Frauen in der Gesellschaft gestern und heute.

S-West - Odile Laufner hat zu einer Zeit studiert, als Frauen nur studiert haben, um einen Mann zu finden. So haben sich das zumindest ihre Professoren an der Technischen Hochschule in Stuttgart gedacht, erzählt sie. Nur elf Prozent Frauen gab es an ihrer Uni. Laufner hat aber eben nicht nur einen Mann gesucht – und arbeitet deshalb heute als Architektin und Stadtplanerin in Möhringen.

Frauen hatten eigentlich keinen Beruf – sie waren für Heim und Herd zuständig

Auch außerhalb von Universitäten gab es in der Öffentlichkeit kaum Frauen: „Keine Wissenschaftlerinnen, keine Künstlerinnen, keine Raumfahrerinnen“, sagt Laufner. Die wenigsten, die es gegeben habe, seien unsichtbar gewesen: „Weil unser Blick anerzogenermaßen auf Männer gerichtet war.“

Es war eine Zeit, in der Frauen sich wie selbstverständlich um Heim und Herd kümmerten. Sie mussten ihre Männer um Erlaubnis bitten mussten, wenn sie Geld verdienen wollten. Man pflegte ein konservatives Weltbild, sagt Laufner. Doch das war es nicht allein: „Es herrschte ein Klima, das erschreckend war.“ Erst mit Beginn der 68er-Bewegung änderte sich dies: „Die war nicht mehr bereit dieses Weltbild mitzutragen.“

Frauen fehlten Räume, wo sie ohne Männer sein konnten

Was den Frauen fehlte waren Räume, an denen sich ungestört treffen konnten– ohne Männer. „Als Stadtplanerin weiß ich um die Bedeutung von öffentlichen Räumen.“ Mit drei anderen Frauen der autonomen Frauenbewegung – Eveline Linke, Anne Böhme und Marion Storz – gründete sie deshalb am 11. November 1978 das Frauenkulturzentrum Sarah an der Johannesstraße 13 im Stuttgarter Westen. „Wir wollten nicht nur auf die Straße gehen, wir wollten etwas Eigenes schaffen.“ Leben und Arbeiten unter einem Dach, ein Ort des Austausches für ganz unterschiedliche Frauen, die gegenseitig voneinander lernen. „Hier sollte von Frauen selbst definiert werden, was Frauenkultur ist.“

Laufner, groß gewachsen, halblange Haare, war damals in Stuttgart eine Vorreiterinnen der Frauenbewegung. Das Sarah war das erste Frauenkulturzentrum in ganz Deutschland. Über die Eröffnung wurde damals sogar in der Tagesschau berichtet. „Avantgarde“ nennt sie das damalige Sarah. Und: „Es gab nichts Vergleichbares.“

„Mutig“ findet sie das Engagement vieler Frauen damals. Aber sie selbst habe es etwas leichter gehabt. So habe sie sich, damals 27 Jahre alt, auch viel getraut, weil sie ein sehr liberales Elternhaus gewohnt war: „Für meine Mutter war es klar, dass ihre Töchter eine Berufsausbildung haben sollten, um finanziell unabhängig zu sein.“ Das war damals eher selten. „Ich hatte da glückliche Bedingungen. Deshalb wollte ich etwas zurückgeben“, sagt Laufner.

Das „Private ist politisch“ war das Motto dieser jungen Frauenbewegung in Stuttgart

Die Idee des Sarah stand unter dem Motto „Das Private ist politisch.“ Die Frauen, viele von ihnen homosexuell, lebten in dem Haus in Wohngemeinschaften, es gab ein Café, einen Veranstaltungsraum und verschiedene Werkstätten. Die Frauen kamen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Manche hatten studiert, manche praktische Berufe.

Und sie förderten alles das, was es draußen in der Öffentlichkeit nicht gab: Komponistinnen, Musikerinnen, Architektinnen. Es gab Workshops für Literatur, Naturwissenschaften, Töpfern oder Schreinern. Sie organisierten sogar 1979 eine der ersten bundesweiten Tagungen von Frauen in den Naturwissenschaften. Eine Architektinnen-Gruppe um Laufner untersuchte, wie Frauen wohnen wollen, setzte sich dafür ein, dass es in der Kammer eine Gruppe für Architektinnen gab.

Sechs Jahre war Laufner im Sarah engagiert. Mit Anfang 30 widmete sie sich dann mehr ihrem Beruf als Architektin und übergab im Haus das Zepter an jüngere Frauen. Mitgenommen hat sie viel: „Ich war weiter politisch engagiert, wach, hab kritisch denken gelernt“, sagt Laufner. „Das gegen den Strich denken – das bleibt.“ Engagiert hat sie sich weiter ausgiebig – später zum Beispiel sehr intensiv gegen Stuttgart 21.

Heute engagieren sich die Frauen weiterhin für benachteiligte Frauen in Stuttgart

Im Sarah geht es längst auch um andere Themen. Laufner lobt das große Engagement für geflüchtete Frauen oder Veranstaltungen für Migrantinnen. „Wir hatten gegen alte Frauenbilder und viele offene Widerstände zu kämpfen“, sagt sie. Doch es sei immer noch ein Experimentierfeld, an dem sich die Frauen gemeinsam engagieren. So manches habe sich ja bis heute nicht geändert: In Museen, in der Staatsgalerie, im Stadtpalais oder an den Lehrstühlen der Universitäten – überall gebe es zu wenige Frauen. „Für die heutige Frauengeneration ist vieles zwar selbstverständlicher geworden. Aber viele Errungenschaften sind noch fragil“, sagt Laufner. Gerade jetzt, wo rechtspopulistische Kreise wieder lauter und selbstbewusster werden und versuchen, völlig überholte Gesellschafts- und Geschlechterstrukturen wiederzubeleben. Die Gleichberechtigung sei von vielen mutigen Frauen durchgesetzt worden. „Aber es gibt noch viel zu tun“, sagt Laufner.