Ende vergangenen Jahres war sie Jurorin bei „The Voice of Germany“: Alice Merton. Foto: obs/Danny Jungslund

Aufgewachsen zwischen vier Kulturen, ist die 26-jährige Alice Merton auf der ganzen Welt zuhause. Heimweh verspürt sie nur nach ihrem Freund. Am Mittwoch stellt sie ihre kraftvoll elektronische Musik im Wizemann vor.

Stuttgart - Ihr größter Hit „No Roots“ verrät es schon: Sie ist weniger an einem bestimmten Ort als vielmehr auf der ganzen Welt zu Hause. Was das Aufwachsen zwischen den Kulturen mit einem Menschen macht, drückt die 26-jährige Alice Mertonauch in ihrer kraftvoll-elektronischen Popmusik aus, die am Mittwoch im Stuttgarter Wizemann zu hören ist – Sounds einer Sängerin ohne Wurzeln, ohne feste Heimat, ohne das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Land, einer Region, einem bestimmten Ort.

 

Die Vagabundin, die ihr Leben aus dem Koffer lebte, wuchs zwischen vier Ländern und Kulturen auf. „No Roots“, keine Wurzeln. Ihr gefeiertes erstes Album „Mint“ ist voll von solchen Manifesten, von Songs über das Unterwegssein, das Leben in der Fremde. Auch „Homesick“ handelt, anders als man vermuten könnte, nicht von Heimweh. „No, I don’t get homesick – but I’m sick when I’m without you“, singt Alice Merton darin: „Nein, ich bekomme kein Heimweh, aber ich bin krank, wenn du nicht bei mir bist.“

Ihr Heimatverständnis ist eines, das sich nicht auf einen bestimmten Flecken Erde bezieht. „Ich habe an so vielen Orten gelebt, dass ich nie Heimweh nach einem bestimmten habe“, sagt sie. „Meine Wurzeln sind bei den Menschen, die ich liebe – ganz gleich, wo sie sich befinden. Das ist ein Gefühl von großer Freiheit, manchmal aber auch von großer Verlorenheit.“ Überall und nirgendwo zu Hause zu sein, das ist Fluch und Segen zugleich. Beziehungen aufbauen und pflegen, ein Verhältnis zu einer Stadt, einer Landschaft zu entwickeln, anzukommen – all das war ihr lange fremd.

In Mannheim studierte sie Pop

Mittlerweile lebt sie in Berlin, auch wenn die Winter dort zu kalt sind. Natürlich wohnt sie dort, eine wie sie kann schlecht in der Provinz leben. 2019 war ihr Jahr. „Mint“, ihr Debüt, stieg auf Platz zwei in die Charts ein, ihre Single „No Roots“ wurde 1,5 Millionen Mal verkauft und sogar in den USA zum Achtungserfolg. Dann, Ende des Jahres, ihre Juryrolle bei „The Voice of Germany“. Die von ihr protegierte Claudia Emmanuela Santoso konnte die Show sogar gewinnen. Über Santoso spricht man mittlerweile nicht mehr. Über Merton schon.

Geboren 1993 in Frankfurt am Main als Tochter einer Deutschen und eines Iren, aufgewachsen in New York und Kanada, später zurück nach München, wo sie bei der Großmutter wohnte und Deutsch lernte. Sie stöhnt, wenn sie sich an die mühsamen Lektionen erinnert: „Das ist alles andere als eine leichte Sprache!“ Die Schule schloss sie dann in England ab, bevor sie wieder nach Deutschland zurückkehrte und ab 2013 an der Mannheimer Popakademie studierte.

Ein wilder Cocktail aus kulturellen Hintergründen und Traditionen also, den Merton selbst noch nicht so recht versteht. „Ich kann nicht genau sagen, was ich von welcher Kultur abbekommen habe“, sagt sie. „Aber alle Einflüsse haben am Ende irgendwie die Alice ergeben, die ich bin. Was wohl total kanadisch an mir ist, ist meine Begeisterung für Ahornsirup. Oh, und die Brezeln sollte ich auch nicht vergessen. Ich liebe deutsche Brezeln!“

Weltmeisterin im Sich-Eingewöhnen

Heute spricht sie offen und dankbar über ihre Erfahrungen. Damals litt sie unter dem ständigen Umziehen, dem endlosen Abbrechen der Zelte. Ihr Vater war Unternehmensberater für Bergbauunternehmen, wurde ständig irgendwo anders gebraucht. Das Schwierigste war immer, sich von Freunden oder der Familie zu verabschieden und wieder von vorne anzufangen. Neuanfänge kosten Kraft, doch all die Erfahrungen haben Alice Merton zu einer Sängerin gemacht, die so schnell nichts aus der Bahn wirft und die kein Problem damit hat, unterwegs zu sein. So wie jetzt gerade, da sie wieder auf Tournee ist.

Die Nachfrage nach ihr und ihrem Album „Mint“ ist immer noch da. Stress? Von wegen! „Meine Vergangenheit hat mich gut auf das vorbereitet, was ich jetzt erlebe“, betont sie. „Viele Kollegen sind ungern auf Reisen, fliegen ungern, schlafen ungern in immer anderen Hotels. Das ist bei mir anders. Ich reise bis heute gern, privat wie beruflich.“

Das bleibt nicht ohne Spuren. Wenn es darum geht, sich an einem fremden Ort schnell einzugewöhnen, ist Alice Merton jetzt schon Weltmeisterin. „Wenn ich eine Stadt nicht gut kenne, setze ich mich einfach eine Weile hin und beobachte die Menschen auf der Straße. Wie sie sich verhalten, worüber sie sprechen, wie sie sich kleiden. Ich studiere gern, wie Menschen in anderen Ländern miteinander umgehen. Und wir mögen zwar alle aus verschiedenen Orten, Kulturen oder Hintergründen kommen, doch am Ende des Tages kann man sich doch überall wohlfühlen.“ Selbst im Winter in Berlin.

Alice Merton tritt am Mittwoch, 26. Februar, um 20 Uhr im Wizemann auf.